Kampf der Flüchtlinge in Bayern

Zelt der Karwane in Nürnberg Asylsuchende in Nürnberg am Hallplatz. 22. Juli. 2013

Als wir am 30. Juli 2013 das Protestzelt der Flüchtlinge am Hallplatz in Nürnberg besuchten, stießen wir auf eine merkwürdige Situation. Die offizielle „Unterstützerin“ für Flüchtlinge, die „Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen“ baute mit ein paar treuen Helfern aus der linken Szene das Protestzelt ab, welches sie den Flüchtlingen am Anfang geliehen hatten. Die so genannten „treuen Helfer“ holten alles –von den Bildern über die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingsheimen bis hin zu der kompletten Ausrüstung wie Schlafsäcke, Stühle und Isomatten– ab. Offiziell wurde den protestierenden Flüchtlingen vorgeworfen, dass einige von ihnen islamistisch drauf wären. Nun kann nicht geleugnet werden, dass es bei einigen Flüchtlingen bedenkliche islamistische Tendenzen gab, diese wurden aber auch von einem anderen Teil der Flüchtlinge kritisiert. Insgesamt wurde diese selbstorganisierte Bewegung auch stärker von den sozialen Bedürfnissen des migrantischen Kampfes gegen die nationalstaatliche Repression geprägt als vom Islamismus. Der wirkliche Grund, warum die, ach so fortschrittliche, „Karawane“ die Flüchtlinge fallen lies wie eine heiße Kartoffel, war, dass die Flüchtlinge ihren Protest gegen die Repression des deutschen Staates eigenständig führen und sich nicht mehr von der „Karawane“ bevormunden lassen wollten. Sie wollten sich nicht mehr von der „Karawane“ vorschreiben lassen, wie sie ihren Kampf zu führen haben. Wie es in politischen Organisationen üblich ist, so versuchten auch hier „unsere“ Karawane-AktivistInnen mit Hilfe ihrer „Vorschlagslisten“ die Bewegung so zu mogeln, wie es ihnen beliebt und wie es ihren Interessen am besten entsprach.

„Non-Citizens“ und ihre reaktionären und progressiven Tendenzen

Die Aktivisten unter den kämpfenden Flüchtlingen haben sich nicht klein kriegen lassen. Sie haben auch Unterstützung von Flüchtlingen aus anderen Städten bekommen, die auch am Hungerstreik auf dem Rindermarkt in München im Sommer 2012 mit teilnahmen. Sie waren auch diejenigen, die bewusst den Bruch mit der Karawane – aber leider nicht mit der ganzen kleinbürgerlichen Linken vollzogen haben. Gleichzeit übernahmen die Aktivsten von „Non-Citizens“ auch die Führung in der neuen Bewegung.

Ein führender Kopf unter der Urdu sprechenden pakistanischen Fraktion war Ghlam Vali, der den späteren „Marsch nach München“ und den Hungerstreik am Pariser Platz in Berlin mit organisiert und dominiert hatte. Diese pakistanische Fraktion war sehr islamistisch geprägt. Außerdem konzentrierte sie sich vor allem um den „Kampf um Papiere“ und vernachlässigte andere Aspekte der staatlichen Repression. Sie war ein Beispiel dafür, wie schädlich es ist, wenn in einer sozialen Bewegung ein Mischmasch aus Religion und Menschenrechtskram die Oberhand gewinnt und diese ideologisch dominiert. Ein anderes Problem war ihr nationalistischer „Antiimperialismus“. So wurde die ganze Misere des Proletariats in ihren Herkunftsländern einzig und allein dem westlichen Imperialismus zugeschoben und die Rolle der „eigenen“ Regierung total verharmlost. Daran konnten auch die deutschen kleinbürgerlichen Linken ideologisch andocken und das Ganze „weiterentwickeln“. So wurde vollkommen die Klassenkampfrealität in Deutschland ausgeblendet und weitgehend klassenneutral herummoralisiert. In dieser Ideologie sicherten böse „Waffenexporte“ einen klassenneutralen „Wohlstand“. Die Ausbeutung der inländischen ArbeiterInnenklasse wurde vollkommen ausgeblendet. Und fertig war eine Ideologiebrühe, die bei deutschen MittelstandsbürgerInnen schlechtes Gewissen hervorrufen sollte, aber sich vollkommen unfähig erwies, den Schulterschluss mit den fortschrittlichsten Teilen des „inländischen“ Proletariats zu suchen.

Die andere Fraktion, die zum großen Teil aus ExiliranerInnen bestand, war sehr im Kampf erprobt. Viele von ihnen hatten durch die Hungerstreiks 2011 in Würzburg und 2012 in München Erfahrung gesammelt. Innerhalb der iranischen Fraktion gab es Kurden aus dem Nord-Irak und aus dem kurdischen Gebiet des Iran. Anarchistische Ideen waren ebenso präsent wie auch ML-Ideologien. Progressiv war, dass sie die Misere der Flüchtlinge nicht nur dem staatlichen Rassismus in die Schuhe schoben, sondern das gesamte kapitalistische System anklagten. Eine reaktionäre Tendenz war die Reproduktion des kurdischen Nationalismus durch einen Teil der Bewegung. Der kurdische Nationalismus, der voll dem Verständnis der ParteimarxistenInnen entsprach, hat sich vom Ziel eines eigenen kurdischen Nationalstaates weitgehend verabschiedet und kämpft für autonome demokratische Selbstverwaltung in den bestehenden Nationalstaaten. Ein Paradebeispiel stellt die kurdische Autonomie im Nordirak dar. Im Nordirak erlebten und erleben kurdische ProletarierInnen was für sie nationale Unabhängigkeit bedeutet. Praktisch bedeutet es, dass jetzt die Ausbeutung der ArbeiterInnen von kurdischen PolitikerInnen, alt/neuen inländischen Wirtschaftseliten und ausländischen Investoren organisiert wird. Einige kleinbürgerliche Linke träumen zwar von einer „sozialistischen“ Föderation für KurdInnen. Doch der kleinbürgerliche „Sozialismus“ war für das Proletariat stets nur ein rot gefärbter Kapitalismus – im radikalsten Falle Staatskapitalismus wie in der DDR oder in der Sowjetunion. Gleichzeitig wird die kurdische Autonomieregion im Nordirak von bewaffneten Einheiten der PKK aus der Türkei und KOMALA aus dem Iran als Rückzugsgebiet genutzt. Die PKK ist übrigens nicht so gern gesehen, weil das zu Spannungen mit der Türkei führt. Auch der Preis, den der iranisch-kurdische Nationalismus für den Rückzugsort Nordirak zu zahlen hat, ist nicht gerade niedrig. Um diese zersplitterten und verfeindenden ML-Sekten des iranisch-kurdischen Nationalismus unter Kontrolle zu halten, organisierte z.B. der nordirakisch-kurdische Präsident Masud Barzani ein Treffen zwischen ihnen, um sie „zu versöhnen“. Natürlich haben die Guerilla-Sekten dadurch auch finanzielle Unterstützung bekommen. In einem persönlichen Gespräch mit uns hat einer der kämpfenden Flüchtlinge gesagt, dass „die Parteibonzen das Geld kriegen, um ihre Basis ruhig zu stellen“.

Die Märsche nach München

Der Höhepunkt der Flüchtlingsproteste waren ab dem 20. August 2013 zwei parallel laufende Protestmärsche nach München – einer von Würzburg und einer von Bayreuth aus. Ziel war es zu Fuß möglichst quer durch ganz Bayern zu marschieren und so auf sich aufmerksam zu machen. Für hier legal lebende ProletarierInnen wie uns gelten ganz bestimmte Rechte und Freiheiten, welche die Vermietung der Arbeitskraft erleichtern. Dazu gehört Bewegungsfreiheit im ganzen Bundesgebiet der BRD. Viele dieser Rechte und Freiheiten, die unsere Ausbeutung erleichtern, haben Asylsuchende nicht. Deswegen war es ein mutiger Schritt für sie, den staatlich zugewiesenen Landkreis zu verlassen, um sich mit den übrigen Flüchtlingen zu treffen, zu vernetzen und gemeinsam zu kämpfen. Denn damit haben sie bewusst gegen die in Bayern noch geltende Residenzpflicht verstoßen. Gegen uns „inländische“ klassenkämpferische ProletarierInnen ist die herrschende Demokratie eine Mischung aus repressiver Toleranz und toleranzloser Repression, wenn die Grenzen der politischen Narrenfreiheiten ernsthaft überschritten werden. Für nicht anerkannte Flüchtlinge sind noch nicht mal die politischen Narrenfreiheiten sicher. Auf dem Protestmarsch haben sie erfahren müssen, was dies konkret bedeutet. Dank der bürgerlichen Gesetze hatten die Bullen leichtes Spiel, da jeder Flüchtling der in Bayern seinen zugewiesen Landkreis verlässt gegen das geltende Asylrecht verstößt. Die Flüchtlinge wurden kontrolliert und festgenommen, vor allem in kleinen Käfern und möglichst auf den Brücken. Da die Flüchtlinge sich auch weigerten sich auszuweisen, war es leicht für die Bullen sie festzunehmen. Die Flüchtlinge wehrten sich zusammen mit der Solidaritätsszene in Form eines Sitzstreikes, bei denen sich die Menschen aneinander festhielten. Die demokratischen Bullen wendeten an diesem Punkt direkte Gewalt an und versuchten eine/n nach der/m anderen aus dem Sitzstreik raus zu ziehen. Natürlich kamen hier und da auch ein paar „brave Bürger“, die ihren Frust und soziale Ängste auf die Flüchtlinge projizierten und Parolen wie „Geht nach Hause!“ riefen.

Da zufällig zur selben Zeit sowohl der Wahlkampf für den Bayerischen Landtag als auch für den Bundestag stattfanden, nutzten auch BerufspolitikerInnen wie z. B. die der Grünen, der Linkspartei und der SPD gezielt die Flüchtlinge für ihre politischen Spielchen aus. Doch jene Parteien, die sich in Bayern als Oppositionsparteien heuchlerisch mit den Flüchtlingen „solidarisierten“, organisieren dort, wo sie regieren, die Repression gegen die Flüchtlinge mit. Diese Suche nach Solidarität aus der Politik war leider bei den Flüchtlingen sehr präsent. Illusionen in die Politik und die mangelnde Konzentration auf das „inländische“ Proletariat als potenzielles Hauptsubjekt einer aktiven und klassenkämpferischen Solidarität waren die Hauptschwächen der Bewegung.

Die Flüchtlinge im DGB-Haus München

Während des Marsches und der am Ende stattfindenden Abschlusskundgebung in München hatten die Flüchtlinge hauptsächlich nur Solidarität von linken KleinbürgerInnen erfahren können. Nachdem die Stadt München unter massiven Polizeieinsatz die Flüchtlinge durch die Straßen laufen ließ, suchten die Flüchtlinge im Münchner DGB-Haus Schutz. Aber sehr glücklich waren die DGB-Bonzen über die Anwesenheit der Flüchtlinge nicht. Doch als FunktionärInnen des größten deutschen Gewerkschaftsbundes stehen sie sowohl unter Druck der proletarischen Basis als auch der herrschenden KapitalistInnen und PolitikerInnen. Als Antwort auf die Besetzung einiger Räume durch die Flüchtlinge boten die DGB-Funktionäre ihnen einige politische Deals an, wie z. B. ein Hotel bzw. einen Campingplatz als alternative Unterkunft oder einen Bus zur Verfügung zu stellen, der die protestierenden Flüchtling in die Lager zurück bringen sollte, wo sie registriert waren. Die DGB-Bonzen, die auf Kosten der beitragszahlenden ProletarierInnen leben, versuchten also auf möglichst „humane Weise“ den Job der Bullen zu übernehmen.

Außerdem stand ein Treffen mit führenden OppositionspolitikerInnen von der SPD, den Grünen und den „Freien Wählern“ auf dem Programm. Die meisten Flüchtlinge waren schon von Anfang an während ihres ganzen Kampfes von demokratischen Illusionen geblendet. Folglich suchten sie auch selbst das Gespräch mit den verantwortlichen PolitikerInnen, wo jede/jeder versuchte, möglichst viel für sich raus zu handeln, anstatt sie als FeindInnen zu betrachten, die es gilt unter einen möglichst großen Druck zu setzen. So erwuchs aus einem reproduktiven Klassenkampf nichtlohnarbeitender ProletarierInnen immer mehr ein politisches Handeln mit großen Illusionen in die herrschende und oppositionelle Politik. Als die bayerische Politik kompromisslos gegen die Flüchtlinge blieb, verließ der harte Kern der Flüchtlingsbewegung unter der Kontrolle von Ghlam Vali München Richtung Berlin. Sie versuchten dort das zu erreichen, was ihnen in Bayern nicht gelang. Doch da Asylpolitik in Deutschland Ländersache ist, war ihr Versuch von Anfang an erfolglos.

Hungerstreik am Pariser Platz in Berlin

Am 9. Oktober 2013 trafen die Non-Citizens in Berlin ein und besetzten den Pariser Platz direkt vor den Brandenburger Tor, wo sie in den Hungerstreik traten. Die demokratische Repression des Staates bestand unter anderem darin, dass er den Flüchtlingen die ISO-Matten wegnahm und nur die Regenschirme ließ. Juristisch begründeten dies die Beamten damit, dass „es sich hier um eine Mahnwache handelt und nicht um ein Protestzelt“. Die Flüchtlinge ließen sich trotz alledem nicht entmutigen, auch wenn das hieß, auf dem kalten Boden zu schlafen. Nach fünf Tagen des Kampfes gingen die Flüchtlinge so weit, dass sie wie damals 2012 am Rindermarkt sich sogar weigerten, Wasser zu trinken. Trotz dieser radikalen Handlungen suchten sie weiterhin Solidarität bei der deutschen Politik. Leider fehlt es in diesem Land überhaupt an Solidarität mit den migrantischen ProletarierInnen im Allgemeinen und an solcher, die aus proletarisch-revolutionärer Perspektive erfolgt, im Besonderen. So ist die Solidaritätsszene sehr kleinbürgerlich-intellektuell geprägt, wo sich teilweise auch PolitikerInnen wie Fische im Wasser fühlen können. Beim Hungerstreik in Berlin hatte der Widerstand der Flüchtlinge eine solche Radikalität erlangt, dass sich auch regierende PolitikerInnen einfach einschalten mussten. So bekamen sie Besuch von Berlins Sozialsenatorin, Dilek Kolat, und dem Vizepräsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, was auch immer der Wunsch der Flüchtling gewesen war. Bei einer Verhandlung zwischen den VertreterInnen des Staates und denen der Flüchtlinge kam ein Deal zustande, der beinhaltete, dass der Hungerstreik abgebrochen und der Platz geräumt werden sollte. Im Gegenzug sollten innerhalb von drei Monaten ihre Anträge überprüft werden, obwohl es zu ihren ursprünglichen Forderungen gehört hatte, dass ihre Anträge sofort anerkannt werden und die Residenzpflicht in Bayern abgeschafft werden sollte. Das ist ein Paradebeispiel dafür, was passiert, wenn radikal kämpfende ProletarierInnen mit einem dennoch reformistischen Bewusstsein immer noch auf die Politik bauen. Typisch für dieses Bewusstsein ist, dass ProletarierInnen auch eine gewisse Passivität entwickeln, welche die sozialpsychologische Basis für Hierarchien innerhalb der Bewegung bildet. Das verhindert gleichzeitig, dass sie ihre sozialen Interessen direkt vertreten.

Auch die Kirchen spielen in der Solidaritätsszene ein doppeltes Spiel. Die Kirchenhierarchie ist mit dem Staat ökonomisch und politisch stark verbandelt, mit jener Macht also, die repressiv gegen Flüchtlinge vorgeht. Gleichzeitig gewährt die Kirche Flüchtlingen Asyl. Das tat auch vorübergehend ein evangelisches Gotteshaus im Fall der bayerischen Asylsuchenden nach dem Hungerstreik. Die Kirche schlägt also mit der einen Hand auf die Flüchtlinge ein, mit der anderen verteilt sie Pflaster an sie.

Sozialrevolutionäre Position zur Flüchtlingsbewegung

Die Kämpfe der Flüchtlinge zählen im Klassenkampf-Entwicklungsland Deutschland zu den radikalsten sozialen Bewegungen. Allerdings war von Anfang problematisch, dass die Non-Citizens sich nicht als ein Teil des globalen Proletariats gesehen haben, sondern als radikal auftretende Bürgerrechtsbewegung. Selbstverständlich muss dieser Begriff „des global kämpfenden Proletariats“ erst im Klassenkampf mit Form und Inhalt gefüllt werden. Das ist ein längerer weltweiter Prozess, wo die ProletarierInnen möglicherweise von Ausbeutungsobjekten zu revolutionären Subjekten ihrer sozialen Befreiung werden.

Das moderne Weltproletariat, welches vom globalen Kapitalismus geschaffen wurde, war immer schon multiethnisch zusammengesetzt. Die kapitalistische Globalisierung schafft den Widerspruch, dass es auf der einen Seite noch nie in der Geschichte so eine dichte Vernetzung von Arbeits- und Handelsmärkten gab, aber diese Vernetzung auf der Zusammenarbeit von Nationalstaaten basiert. Dabei spielen die Nationalstaaten als politische Einheiten der Nationalkapitale eine wichtige Rolle als Standorte für die einzelnen in- und ausländischen Kapitalien. Jeder Staat hat das Recht auszusuchen, welche „AusländerInnen“ für ihn wertvoll sind und deswegen rein dürfen. Natürlich gehen die modernen Nationalstaaten auch Bündnisse mit anderen Nationalstaaten ein, um ihre eigene Machtbefugnis zu sichern und zu vergrößern. Innerhalb dieser Bündnisse versuchen natürlich die wirtschaftlich Starken die schwächeren möglichst nieder zu konkurrieren und nach Bedarf sogar zu ruinieren. Nach dieser kapitalistischen Logik setzen die EU und Deutschland als deren wirtschaftlich stärkste Macht gezielt Programme durch, damit nur die Länder in sie aufgenommen werden, die ihren Beitrittsnormen am besten entsprechen. Gleichzeitig ist die EU einer der größten Arbeitsmärkte der Welt, z. B. können ehemalige BergarbeiterInnen aus Rumänien dank der EU-Regelungen überall in ihr arbeiten. Das hat gerade für die wirtschaftlich entwickelten westeuropäischen Standorte den Vorteil, dass sie billige und zuverlässige Arbeitskräfte ins Land holen können. In diesem Fall muss der jeweilige Staat nicht einmal ein spezielles Papier rausgeben, damit sein Kapital die ausländischen Klassengeschwister problemlos ausbeuten kann. In dieser Frage haben die Flüchtlinge eine der schlechtesten Karten, die mensch als Proletarier haben kann, stets sind sie der erniedrigste und entrechteste Teil der bürgerlichen Gesellschaft. Der demokratische Staat hat keine „Blut-und-Boden-Philosophie“ wie der faschistische, es ist ziemlich egal, welche Hautfarbe oder Religion seine „hier lebenden BürgerInnen“ haben. Wichtig ist, dass die entsprechenden Menschen aus dem In- und Ausland optimal für die nationale Kapitalvermehrung wirken. Deshalb sind hochqualifizierte migrantische Fachkräfte in Deutschland gern gesehen, was aber selbstverständlich nicht für die Armutsmigration gilt. Hier wirken Sozialdarwinismus und Staatsrassismus untrennbar zusammen.

Das Bedürfnis der Flüchtlinge, genauso „legal und selbstbestimmt“ leben zu können wie ihre „inländischen“ Klassengeschwister, ergibt sich aus ihrer besonderen sozialen Situation und gleichzeitig aus einer Verklärung „der Freiheit“ und Legalität im deutschen Kapitalismus. Denn diese Freiheit bedeutet die totale Unterordnung unter Warenproduktion und Politik. Denn wenn die Asylsuchenden in Deutschland bleiben „dürfen“, müssen sie irgendwie versuchen Geld zu verdienen. Entweder werden sie KleinbürgerInnen oder LohnarbeiterInnen. Als beides sind sie dem Zwang unterworfen Geld verdienen zu müssen. Als doppelt freie LohnarbeiterInnen, also als freie Marktsubjekte und frei von Produktionsmitteln, sind sie sozialökonomisch gezwungen ihre eigene Haut zu Markte zu tragen, die dann in der Regel am Arbeitsplatz ordentlich gegerbt wird. BerufspolitikerInnen verwalten und sichern diese Ausbeutung. Da ist es vollkommen egal, wer regiert. Und es ist auch egal, dass „inländische“ ProletarierInnen das Wahlrecht haben und „ausländische“ ProletarierInnen nicht. Wir sollten endlich aufhören, PolitikerInnen in freien Wahlen zu ermächtigen. Wir müssen sie durch die weltweite Zerschlagung der Nationalstaaten entmachten und eine globale klassen- und staatenlose Gesellschaft schaffen. Noch überlagern in Deutschland legalistische „Freiheits“-Illusionen des „in-“ und „ausländischen“ Proletariats diese revolutionäre Perspektive.

Doch das multiethnische Proletariat der BRD kann seine Illusionen nur im Kampf verlieren. Deshalb unterstützten wir den selbstorganisierten Kampf der Flüchtlinge, kritisierten aber deren Illusionen in die deutsche Politik scharf. Das ist unser Spagat zwischen der Solidarität mit den MigrantInnen einerseits und anderseits dem Formulieren einer sozialrevolutionären Perspektive. Diese gründet vor allem auf dem gemeinsamen Kampf aller ProletarierInnen in Deutschland und weltweit. Was den Kampf der Flüchtlinge in Deutschland betrifft, muss betont werden, dass ihnen weitgehend die Solidarität des „inländischen“ Proletariats fehlt. Aber viele MigrantInnen suchen auch noch kaum die Solidarität des „inländischen“ Proletariats und seines Kerns, der ArbeiterInnenklasse. Viele von ihnen setzen immer noch auf die bundesdeutschen PolitikerInnen. Aber ihre Anerkennung als in Deutschland lebende Menschen erreichen sie nur im konsequenten Kampf gegen die BerufspolitikerInnen. Dabei müssen sie praktisch die Solidarität des „inländischen“ Proletariats suchen – gegen den gemeinsamen Klassenfeind, die PolitikerInnen. Das wird wegen der auch im „deutschen“ Proletariat tief verankerten rassistischen Konkurrenzideologie alles andere als einfach sein, aber einen anderen Weg gibt es nicht.

Zum Proletariat in Deutschland gehören sowohl die lohnarbeitenden als auch die nichtlohnarbeitenden erwerbslosen Menschen. Für jede Gesellschaftsform war und ist es wichtig, wie die Herstellung von Gütern-und Dienstleistungen organisiert wird. Deswegen kann nur konkret über Gesellschaftsveränderung gesprochen werden, wenn grundsätzlich die Produktionsverhältnisse verändert werden. Der Gravitationspunkt des sozialen Widerstandes ist der Produktionsprozess, wo die Macht von Kapital und Staat produziert wird – potenziell aber auch zur Fall gebracht werden kann. Die meisten Asylsuchenden gehören nicht zu den lohnarbeitenden Schichten des Proletariats. Deshalb findet ihr Kampf notwendigerweise vorwiegend auf der Straße statt. Doch nur wenn sich Straßenbewegung und Klassenkampf im Produktionsprozess vereinigen, kann eine gewaltige soziale Kraft entstehen, die nicht nur ein paar Zugeständnisse zu erkämpfen vermag, sondern langfristig den ganzen kapitalistischen Dreck wegfegt.

Für den gemeinsamen Kampf von ArbeiterInnen und nichtarbeitenden ProletarierInnen, von „in-“ und „ausländischen“ Klassengeschwistern!

Hoch die antinationale Solidarität!

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