Sozialrevolutionäre Antipolitik

Wir veröffentlichen ein Kapitel aus der Broschüre „ Klassenkämpfe in Griechenland (2008-2013)“ über die sozialrevolutionäre Antipolitik . Die Broschüre könnt Ihr für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.
Khriek

Sozialrevolutionäre Antipolitik

Sozialrevolutionäre Antipolitik ist der bewusste Kampf gegen groß- und kleinbürgerliche Politik. Sie ist unvereinbar mit linker Politik, diesem erbärmlichen Kasperletheater, das für beschränkte KleinbürgerInnen ein nettes Nischenprogramm im Rahmen von kapitalistischer Warenproduktion und Politik zu bieten vermag, aber das proletarische Elend nur reproduzieren kann (siehe dazu Kapitel II.1). Das Subjekt sozialrevolutionärer Antipolitik sind nicht die klassenneutralen „SteuerzahlerInnen“ und „WählerInnen“ beziehungsweise „NichtwählerInnen“ sondern ProletarierInnen, die sich revolutionär aufheben wollen und die wenigen Intellektuellen, die bewusst gegen Warenproduktion und Politik kämpfen.
Dieser bewusste Kampf gegen Warenproduktion und Politik ist sowohl in Griechenland als auch weltweit eine absolute Notwendigkeit, denn nur dieser führt aus dem proletarischen Elend heraus. Dem Elend des Proletariats, entweder den Reichtum von Kapital und Staat zu vermehren oder wenn die eigene Arbeitskraft nicht mehr vermietbar ist – so wie es vielen Menschen in Griechenland geht – der staatlichen Erwerbslosenverwaltung anheim zu fallen. Das Proletariat kann sich nur aus diesem Elend befreien, indem es sich selbst als doppelt freie LohnarbeiterInnen (frei von Produktionsmitteln und freie Marktsubjekte), unfreie ArbeiterInnen in den Knästen und sozialstaatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, innerfamiliäre HausarbeiterInnen, erwerbs- und obdachlose Menschen aufhebt. Das geht nur, indem das Proletariat die kollektive Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel erkämpft, die kapitalistische Warenproduktion aufhebt und alle BerufspolitikerInnen zum Teufel jagt.
Sozialrevolutionäre Antipolitik strebt also die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats an, die zugleich die Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung und der Politik als staatsförmige Organisation der Klassengesellschaft ist. Das Proletariat ist als kollektiver Vermieter der Arbeitskraft und kollektiver Konsument der Konsumgüterindustrie Teil der Ware-Geld-Beziehung, es kann sich nur aufheben, indem es die Ware-Geld-Beziehung zerschlägt. Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung heißt in erster Linie die Vergesellschaftung der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und Aufhebung des privaten und einzelkollektiven Eigentums an Produktionsmitteln. Denn die soziale Basis der Ware-Geld-Beziehung sind voneinander getrennte EigentümerInnen der Produktionsmittel, die auch EigentümerInnen der mit Hilfe dieser Produktionsmittel hergestellten Produkte sind, welche dann auf dem Markt verkauft und gekauft werden können. In der sozialen Revolution, die eine Möglichkeit ist und von SozialrevolutionärInnen bewusst vorbereitet werden muss, besteht die Notwendigkeit, dass das Weltproletariat die kollektive Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel erkämpft und in einer permanenten Kette die Nationalstaaten zerschlägt und den kapitalistischen Weltmarkt aufhebt. Nach unseren Vorstellungen verfügen in einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft in überschaubaren Kommunen sowohl die unmittelbaren ProduzentInnen an konkreten Produktionsmitteln, also jene Menschen die mit ihnen unmittelbar produktiv tätig sind, als auch jene die nicht zurzeit an ihnen beschäftigt sind, permanent über die Produktionsmittel, das heißt, dass sie die allgemeinen Richtlinien der Produktion durch Vollversammlungen und mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel bestimmen. Wobei natürlich die konkrete Ausgestaltung der produktiven Tätigkeit von den unmittelbaren ProduzentInnen allein und kollektiv bestimmt werden muss. Es muss natürlich beachtet werden, dass es in einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft wesentlich hochwahrscheinlich weniger feste Betriebsbelegschaften geben wird als im Kapitalismus. Ebenfalls muss in die Betrachtung einfließen, dass die kommunale Produktion auch durch die globale zwischenkommunale Abstimmung und Kommunikation bestimmt werden muss. Auf jeden Fall muss die soziale Weltrevolution das Eigentum an Produktionsmitteln aufheben und die kollektive Verfügungsgewalt über sie erringen. Dadurch wird auch eine kommunale und überkommunale Planung der gesellschaftlichen Produktion möglich. Innerhalb der Kommunen werden nicht mehr Produkte für den Austausch gegen Geld als dem selbstständigen Ausdruck des Tauschwertes – dem eigentlichen Ziel der kapitalistischen Produktionsweise – hergestellt, sondern für den unmittelbaren individuellen und kollektiven Bedarf. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden auch Produkte zwischen den Kommunen ausgetauscht werden, doch diese werden keine Waren, das heißt, sie werden nicht über das Geld sondern direkt ausgetauscht.
Mit der Warenproduktion muss eine soziale Weltrevolution auch die Politik als das besondere Geschäft von BerufspolitikerInnen aufheben. Indem die Menschen kollektiv über die Produktionsmittel verfügen bestimmen sie ihr eigenes soziales Leben unmittelbar selbst. Sie brauchen keine freien Wahlen, indem sie andere Menschen ermächtigen angeblich in ihrem Interesse zu regieren und Gesetze zu erlassen. Sie bestimmen selbst über ihre gesellschaftlichen Belange in Form von Versammlungen und mit Hilfe der modernen Kommunikationsmittel.
Das ist in groben Zügen die klassen- und staatenlose Gesellschaft, die von der sozialrevolutionären Antipolitik angestrebt wird. Mit Sicherheit wird sie kein widerspruchsloses Paradies sein, aber in ihr werden mit der gleichen Sicherheit keine Menschen hungern, weil sie kein Geld besitzen um sich etwas zu essen kaufen zu können, während zur gleichen Zeit nicht weit weg Lebensmittel vernichtet werden, weil sie im Verhältnis zur zahlungsfähigen Nachfrage überproduziert worden sind. Es werden keine Menschen mehr erfrieren in der Nähe von leer stehenden Wohnobjekten, die das Eigentum anderer Menschen sind, die selbst nicht in ihnen wohnen aber wegen mangelnder zahlungsfähigen Nachfrage auch keine anderen Menschen in ihnen wohnen lassen. Diesen kapitalistischen Wahnsinn muss die soziale Revolution hinwegfegen!
Nun behauptet auch der radikale Flügel der linken Politik für eine soziale Revolution und eine klassen- und staatenlose Gesellschaft als „Endziel“ seiner Bestrebungen zu sein. Klar, in der so genannten „radikalen Linken“ mangelt es nicht an Phrasen über „Revolution!“, „Kommunismus!“ und/oder „Anarchie!“ Doch die gleichen Leute betreiben Solidarität mit linksbürgerlichen Regimes wie dem (noch) staatskapitalistischen Kuba, dem privatkapitalistischen Venezuela, also mit Regimes, die ihre kapitalistische Realpolitik mit „sozialistischer“ Rhetorik aufpolieren. Aus „antiimperialistischen“ Erwägungen unterstützt die kleinbürgerliche politische Linke aber auch mit dem Westen gerade über Kreuz liegende Nationalstaaten und nationale Befreiungsbewegungen, die gänzlich auf linke Rhetorik verzichten. Diese so genannte „internationale Solidarität“ eines Großteils der „radikalen Linken“ ist durch und durch nationalistische Politik, die ganz bestimmt nicht der sozialen Revolution dient, sondern eindeutig sozialreaktionär ist. Denn nationale Befreiung heißt immer Reproduktion von Kapital, Lohnarbeit und Staat –wenn auch unter einem neuen nationalen Firmenschild. Manche dieser Linken behaupten „antideutsch“ zu sein, sie wedeln dafür fleißig mit Israel-Fahnen herum.
Andere „KommunistInnen“ rufen „kritisch“ dazu auf bei den Wahlen bei einem bestimmten linkssozialdemokratischen Wahlverein das Kreuz zu machen. Sie unterstützen also „kritisch“ jene Linksparteien, die dort, wo sie mit regieren, konstruktive kapitalistische Realpolitik betreiben. Und dann ist da noch der Antifaschismus. Bei diesem schmutzigen Spiel linker Realpolitik wird fleißig Sand über die reale Demokratie als Diktatur des Kapitals gestreut. Auf „breiten Antifa-Bündnissen“ kämpft die radikale Linke zusammen mit BerufspolitikerInnen – die, wenn sie sich nicht auf Antifa-Bündnissen rumtreiben, die Ausbeutung des Proletariats mit organisieren – „gegen Nazis“. Nun ja, manchmal gehen die regierenden DemokratInnen auch gegen die Antifa vor und ihre Geheimdienste organisieren die Naziszene mit. Doch hin und wieder ist dann auch mal Ringelpiez mit Anfassen zusammen mit der Antifa angesagt. Gerade diese breiten Antifa-Bündnisse machen eines klar: SozialrevolutionärInnen müssen Nazis, regierende DemokratInnen und die kleinbürgerliche politische Linke bekämpfen.
Dann gibt es da noch linke Sekten, die zu radikal oder zu blöd dazu sind konsequent linke Realpolitik als Unterstützung von bestimmten Fraktionen des Kapitals zu betreiben. Sie knüpfen ideologisch an frühere Formen linker Realpolitik an, die wie jede Realpolitik selbstverständlich auch kapitalistisch war. So verteidigen TrotzkistInnen die staatskapitalistische Realpolitik von Lenin/Trotzki gegen die „StalinistInnen“, die übrigens seit 1989 in Europa auch keine Realpolitik mehr betreiben können. Nun ja, die anpassungsfähigsten dieser „StalinistInnen“ und TrotzkistInnen bilden irgendwie auf jeweils bestimmte Art den „radikalen“ Schwanz heutiger linker Realpolitik. Die dazu nicht oder nur unvollkommen in der Lage sind, trauern in ihren weltfremden Sekten der „guten alten Zeit“ nach und träumen von einem Zurück in die Zukunft… Auch der Linkskommunismus ist nicht frei von diesen sektiererischen Zügen. Große Teile des Linkskommunismus haben die Dekadenz des Parteimarxismus seit 1921 nicht verstanden. Ihr Bestreben, den radikalen Parteimarxismus zu reproduzieren, der sich in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) eindeutig als dekadent und teilweise auch als konterrevolutionär erwiesen hat und der vom Rätekommunismus kritisch überwunden wurde, kann nur zum ideologischen Sektierertum führen. So reden viele LinkskommunistInnen noch immer von der „stalinistischen Konterrevolution“ um die Konterrevolution des Lenin/Trotzki-Regimes gegen das russische Proletariat zu leugnen oder zu verharmlosen. Auch das Nichterkennen des bürgerlichen Wesens der politischen Organisationsform der Partei wirkt sich weiterhin verhängnisvoll aus. Wir knüpfen kritisch an der rätekommunistischen Kritik am Parteimarxismus an –und gehen weit über den Rätekommunismus hinaus. So sind wir im Gegensatz zum Links- und Rätekommunismus bewusst antipolitisch, wobei es bei beiden Strömungen antipolitische Tendenzen gab und gibt. So weigerten und weigern sich beide Strömungen den parlamentarischen Betrug am Proletariat mit zu organisieren.
Linke Politik vermag leider immer noch subjektiv ehrliche Menschen zu organisieren, die wirklich für eine soziale Revolution eintreten. Diese Menschen für sozialrevolutionäre Antipolitik zu gewinnen ist eine wichtige Aufgabe. Subjektiv ehrliche SozialrevolutionärInnen am Rand der kleinbürgerlichen politischen Linken müssen die Angst vor angeblicher „Isolation“ verlieren. Mit der linken Politik zu brechen ist keine „Isolation“, sondern ein notwendiger Selbstreinigungsprozess, den auch der Autor dieser Zeilen hinter sich hat. Sozialrevolutionäre Antipolitik kann in nichtrevolutionären Zeiten nur wenige ProletarierInnen und Intellektuelle erreichen, die den langen und schweren Weg gehen wollen, die mögliche soziale Revolution praktisch und geistig vorzubereiten. Intellektuelle, die sich von dem bildungsbürgerlichen Größenwahn ihrer Zunft, nämlich ihrer Einbildung schlauer als Bourgeoisie und Proletariat zusammen zu sein und deshalb das Letztere zu seinem Glück führen zu müssen, befreit haben und für die kleinbürgerliche politische Linke nichts als Verachtung – und vielleicht in sentimentalen Stunden auch so etwas wie Mitleid für den ehrlichsten Teil – empfinden. ProletarierInnen, die sich geistig aus der Vormundschaft groß- und kleinbürgerlicher IdeologInnen befreien und selbstbewusster Teil des Kampfes ihrer Klasse sein wollen. Intellektuelle und ProletarierInnen, die zwischen sich die Klassenspaltung von geistiger und körperlich-praktischer Tätigkeit aufgehoben haben, also Intellektuelle die auch Flugblätter verteilen und ProletarierInnen, die ganze Bücher und Broschüren schreiben. Sozialrevolutionäre Gruppen aus ProletarierInnen und Intellektuellen, die sich nicht dem Avantgarde-Wahn hingeben, sondern sich selbstkritisch über ihre eigene Bürgerlichkeit als Teil der bürgerlichen Gesellschaft, die sie aufzuheben streben, Gedanken machen. In sozialrevolutionären Gruppen, die in sich die Politik aufgehoben haben, in der es keine BerufspolitikerInnen und keine regierte Basis gibt und die nach der größtmöglichen praktischen und geistigen Aktivität aller ihrer Mitglieder strebt.
Sozialrevolutionäre Gruppen müssen in ihren Reihen jeden ideologischen Sektenwahn, wie er so häufig in linken Kleingruppen anzutreffen ist, konsequent verhindern. Für SozialrevolutionärInnen darf es kein ideologisches Leben in irgendeiner Vergangenheit geben. Wir leben jetzt und hier und nicht 1921 in Kronstadt. Und auch nicht im Deutschland der revolutionären Nachkriegskrise. Natürlich muss sozialrevolutionäre Theoriebildung auch die Klassenkämpfe der Vergangenheit geistig reflektieren, um daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Revolutionäre Theoriebildung kann nur die Verallgemeinerung der großen proletarischen Klassenkämpfe der Vergangenheit sein, wobei natürlich klar zwischen dem Konkreten und dem Allgemeinen unterschieden werden muss. Das Allgemeine, das aus der Analyse der konkreten Situationen der Vergangenheit gewonnen wurde, muss dann mit der der theoretischen Verallgemeinerung der heutigen konkreten Situation verbunden werden, um in groben Umrissen revolutionäre Perspektiven für die Zukunft entwickeln zu können. Das heutige Auftreten von SozialrevolutionärInnen wird also sowohl von der heutigen konkreten Situation, den Erfahrungen der Vergangenheit und den zukünftigen revolutionären Perspektiven bestimmt.
Wir wollen im Folgenden die Möglichkeit einer sozialen Revolution und das bewusste Agieren von proletarischen RevolutionärInnen vor und während der möglichen sozialen Revolution kurz erläutern. Wer eine ausführlichere Darlegung der Dynamik des proletarischen Klassenkampfes zu lesen wünscht, dem sei unser Text Proletarische Selbstorganisation als dialektischer Widerspruch in unserer Broschüre Schriften zum Klassenkampf I (Soziale Befreiung, Bad Salzungen 2012, S. 3-45) empfohlen.
Im reproduktiven Klassenkampf kämpft das Proletariat noch im Rahmen von Warenproduktion und Politik. Es kämpft für höhere Löhne oder gegen Lohnkürzungen, für kürzere Arbeitszeiten oder gegen Arbeitszeitverlängerungen, für bessere staatliche Arbeitsschutzbestimmungen und einen gesetzlichen Mindestlohn… In diesen Kämpfen reproduziert sich das Proletariat als kollektives Marktsubjekt (Vermieter der Arbeitskraft und Kunde auf den Konsummärkten) Ausbeutungsobjekt, Staatsbürger (Steuerzahler und Wähler) und Klassenkampfsubjekt. Der reproduktive Klassenkampf reproduziert damit auch den Kapitalismus auf erneuerter Stufenleiter. Auch reproduzieren die meisten ProletarierInnen in ihm noch eine Menge bürgerliche Ideologie. Auch nährt der reproduktive Klassenkampf die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und Sozialdemokratie/Partei-„Kommunismus“) und deren bürgerlich-bürokratischen Apparate. Das sind die konservativen Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes.
Doch der reproduktive Klassenkampf hat auch seine revolutionären Tendenzen, die sich viele ProletarierInnen oft gar nicht bewusst sind. Das Elend des Proletariats liegt im Warencharakter der meisten Produkte, dem Kapitalcharakter der Produktionsmittel und der eigenen Arbeitskraft. Schon im reproduktiven Klassenkampf ist das Proletariat gezwungen im illegal-konspirativen Alltagsklassenkampf den Warencharakter von Produkten, den Kapitalcharakter der Produktionsmittel und der eigenen Arbeitskraft aufzuheben. Der Lohnabhängige in einer Brotfabrik, der illegal ein wenig Brot für sich abzweigt, hebt den Warencharakter des Brotes punktuell auf. Die Arbeiterin in einer Holzfabrik, die, immer wenn der Meister nicht hinguckt, für ihr Kind ein Holzspielzeug herstellt, hebt punktuell den Kapitalcharakter der Produktionsmittel und der eigenen Arbeitskraft auf. Die FließbandarbeiterInnen in einer öden Fabrik, die während der Pause phantasiereich die Fließbänder kaputt machen, um während der Reparaturzeit ein wenig Ruhe zu haben, setzen für einen Augenblick die Produktionsmittel, die als Waffen des Kapitals gegen sie gerichtet sind, außer Gefecht. Und die ArbeiterInnen einer Maschinenfabrik kämpfen während eines wilden Streikes, also einer der nicht unter Kontrolle der zentralen Gewerkschaftsbürokratie steht, militant gegen die Bullen, üben also objektiv die Diktatur des Proletariats aus, akzeptieren in der Praxis nicht das staatliche Gewaltmonopol. Unter den militant Kämpfenden sind auch solche ArbeiterInnen, die vor dem Kampf Parteien wählten, die sich für eine Ausweitung der staatlichen Repressionsorgane stark machten. Auch das und noch viel mehr geschieht während des reproduktiven Klassenkampfes des Weltproletariats. Das sind seine revolutionären Tendenzen, die jedoch den meisten ProletarierInnen nicht voll bewusst ist.
Es ist die Aufgabe von proletarischen RevolutionärInnen in Gesprächen mit ihren KollegInnen das unbewusst Revolutionäre ihres Tuns bewusst zu machen. Proletarische RevolutionärInnen predigen nicht abstrakt die Revolution wie kleinbürgerliche linke SektierInnen, sondern nehmen bewusst am reproduktiven Klassenkampf teil, sie versuchen seinen konservativen Tendenzen entgegenzuwirken und die revolutionären zu stärken. Im Gegensatz zu den kleinbürgerlich-intellektuellen SektiererInnen sind die arbeitenden Menschen für proletarische RevolutionärInnen keine Objekte oft hirnloser linker „Agitation und Propaganda“, sondern ihre KollegInnen und Klassengeschwister, mit denen sie ganz normal reden. Proletarische RevolutionärInnen versuchen im Alltag und im Klassenkampf durch Gespräche das Bewusstsein ihrer KollegInnen zu radikalisieren. Es herrscht allerdings eine Wechselwirkung zwischen den materiellen und geistigen Bedürfnissen von ArbeiterInnen und ihrem Bewusstsein, was in der Regel eine größere Auswirkung auf ihr Denken hat, als Impulse, die von anderen Menschen kommen. Wenn zum Beispiel ein kleiner Büroangestellter das Bedürfnis hat sich nach oben zu schleimen, helfen die harten Worte –oder auch versteckte illegale Aktionen, wo Worte zu gefährlich sind –der KollegInnen kaum, um ihn von diesem Weg abzubringen. Allerdings auch keine Flugblätter pseudorevolutionärer politischer Gruppen. Ist jedoch ein Leiharbeiter in einer Autofabrik mit der verdammt harten Schufterei für wenig Geld sehr unzufrieden, und will auch nicht seinen Unmut mit Hilfe von Drogen vergessen und auch nicht gegen „die Ausländer“ richten, dann erreichen ihn vielleicht die Argumente proletarischer und intellektueller RevolutionärInnen. Ob es mehr schleimige lohnabhängige KleinbürgerInnen oder mehr kampfbereite ArbeiterInnen in einem Betrieb oder in einem Land gibt, bildet die konkrete subjektiv-objektive Situation, in welcher SozialrevolutionärInnen wirken müssen.
Auch müssen proletarische RevolutionärInnen nach ihren Möglichkeiten versuchen den sich schon im reproduktiven Klassenkampf entwickelnden Widerspruch zwischen den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts-Apparaten und den Lohnabhängigen weiter zuzuspitzen. Besonders wenn die Gewerkschaftsbonzen am Ende eines langen und harten Klassenkampfes nur wenige Krümel mehr am Verhandlungstisch mit der Bourgeoisie aushandeln, ist der proletarische Unmut gegen die Gewerkschaften besonders groß. Doch in Deutschland ist es zum Beispiel so, dass nur 25 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder nach einem Streik dem Tarifschacher der Gewerkschaftsbonzen zustimmen müssen, um den Klassenkampf zu beenden. Noch starren zu viele ArbeiterInnen in diesem Land auf das gewerkschaftliche Streikgeld, was bei einem wilden Streik nicht ausgezahlt werden würde. Doch es gibt Möglichkeiten die proletarische Solidarität mit den wild streikenden ArbeiterInnen zu organisieren. Wenn proletarische RevolutionärInnen in eine solche Situation von Massenempörung mit der Gewerkschaftsbürokratie während eines Klassenkampfes geraten, so sind sie Teil einer subjektiv-objektiven Situation, in der sie durch wichtige Impulse zu einem Klassenkampf, der nicht unter der Kontrolle des bürgerlich-bürokratischen Apparates steht, beitragen können. So entwickelten sich zum Beispiel während des Ersten Weltkrieges in Deutschland, Österreich-Ungarn und in der Tschechoslowakei, Massenstreiks, die wesentlich zum Ende des Krieges beitrugen, obwohl die Gewerkschaftsbonzen dieser Länder alles taten, um Klassenkampf zu verhindern und den imperialistischen Krieg ihrer Nationalstaaten zu unterstützen.
Ein klassenkämpferisches Proletariat, das sich massenhaft aus der Kontrolle bürgerlich-bürokratischer Gewerkschaftsapparate befreit, braucht Organe der eigenen Selbstorganisation. In der Vergangenheit waren das ArbeiterInnenräte, Unabhängige Streikkomitees und Vollversammlungen. Sich extrem zuspitzende Klassenkämpfe und das Entstehen von Massenorganen der proletarischen Selbstorganisation bilden eine revolutionäre Situation, also ein Ereignis, was für die meisten ProletarierInnen sehr überraschend kommt und auf die sich SozialrevolutionärInnen geistig und praktisch bewusst vorbereiten müssen. Heutige SozialrevolutionärInnen sollten sich nicht dem Größenwahn hingeben, sie könnten eine revolutionäre Situation mechanisch „schaffen“. Sie entsteht durch die sozialökonomische Entwicklung der Kapitalvermehrung, der konkreten politischen Rahmengestaltung dieser Kapitalvermehrung durch die verschiedenen Nationalstaaten und die sozialpsychologische Reaktion des Proletariats auf den kapitalistischen und politischen Klassenkampf von oben. In dieser komplizierten Wechselwirkung der unterschiedlichsten Kräfte ist die Wirkungskraft bewusster SozialrevolutionärInnen viel zu gering, als das sie mechanisch eine revolutionäre Situation auslösen könnten.
Aber wenn durch außergewöhnliche Umstände eine Situation eingetreten ist, in der die herrschende kapitalistische Klasse nicht mehr auf die alte Art politisch regieren kann und das Proletariat sein Elend nicht mehr ertragen kann und will, dann kann das bewusste Auftreten geschulter und gestählter SozialrevolutionärInnen sehr dazu beitragen, dass die revolutionäre Situation in einem wirklichen revolutionären Kampf gegen Warenproduktion und Politik mündet. Die bisher relativ spontan entstandenen Organe der proletarischen Selbstorganisation in vergangenen revolutionären Situationen konnten relativ leicht von linken und rechten OppositionspolitikerInnen infiltriert und beherrscht werden. Diese OppositionspolitikerInnen benutzten dann das klassenkämpferische Proletariat um an die Regierung zu gelangen – und danach einen brutalen Klassenkampf von oben gegen das Proletariat zu führen. So war es in der Novemberrevolution 1918/19 in Deutschland, in der sozialdemokratische BerufspolitikerInnen die ArbeiterInnenräte beherrschten, diese dadurch auflösen konnten, um der sozialreaktionären Demokratie der Weimarer Republik Platz zu machen, die dann blutig mit dem revolutionären Proletariat aufräumte. So war es 1917 in Russland, als die bolschewistischen BerufspolitikerInnen durch ihren Einfluss in den Sowjets den Unmut des russischen Proletariats mit der konterrevolutionären Demokratie zu einem Staatsstreich mit anfänglicher Massenbasis nutzten. Dann errichteten die bolschewistischen BerufspolitikerInnen ihre totalitäre Diktatur über das Proletariat, zerschlugen alle Ansätze des selbstorganisierten Klassenkampfes und bauten ab Sommer 1918 ein staatskapitalistisches Regime auf. So war es 1979 im Iran als oppositionelle islamistische PolitikerInnen ihr Einfluss in den Räten der streikenden ÖlarbeiterInnen zur islamistischen Konterrevolution nutzten. Proletarische RevolutionärInnen müssen also in zukünftigen revolutionären Situationen in den Organen der proletarischen Selbstorganisation einen bewussten Klassenkampf gegen das Eindringen linker und rechter OppositionspolitikerInnen führen. Auch müssen sie dafür kämpfen, dass die während der revolutionären Situation entstandenen Massenorgane des selbstorganisierten proletarischen Klassenkampfes nicht neue BerufspolitikerInnen aus den Reihen des kämpfenden Proletariats hervorbringen. Mit einem Satz: Proletarische RevolutionärInnen müssen innerhalb der Massenorgane der proletarischen Selbstorganisation gegen das Eindringen der Politik und von Gewerkschaftsbonzen kämpfen.
Das keine BerufspolitikerInnen die Massenorgane des selbstorganisierten proletarischen Klassenkampfes beherrschen ist eine Voraussetzung dafür, dass erstgenannte einen bewussten Kampf gegen Warenproduktion und Politik führen können. Proletarische RevolutionärInnen müssen ihre bisherigen Kleingruppen in den während der revolutionären Situation spontan entstandenen Massenorganen des selbst organisierten proletarischen Klassenkampfes auflösen. Die Zeit der Kleingruppen wird dann vorbei sein. SozialrevolutionärInnen müssen jetzt für eine revolutionäre Perspektive innerhalb der Massenorgane der proletarischen Selbstorganisation kämpfen, das heißt sie müssen wichtige geistige und praktische Impulse für die bewusste revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats geben. Diese Impulse dürfen nicht unterschätzt werden. Die meisten ProletarierInnen, deren Klassenkampf die mögliche revolutionäre Situation schaffen wird, haben vorher nicht bewusst für die Revolution gekämpft. Sie werden durch die revolutionäre Situation enorm radikalisiert werden, aber auch noch immer eine Menge bürgerliche Ideologie reproduzieren. Im Verlauf des Kampfes muss das Proletariat, damit es sich selbst befreien kann, diese bürgerliche Ideologie immer stärker durch das sich entwickelnde revolutionäre Bewusstsein ersetzen. Dabei können und müssen SozialrevolutionärInnen einen wichtigen Beitrag leisten. Je zahlenmäßig stärker, geistig und körperlich fitter und organisierter sie bereits vor der revolutionären Situation sind, umso besser wird es für die soziale Revolution sein. Der Spontaneitätsfetischismus des Niedergangs-Rätekommunismus (Cajo Brendel) unterschätzte die Rolle bewusster SozialrevolutionärInnen und überschätzte die Rolle von Spontaneität und Klasseninstinkt in der möglichen sozialen Revolution. Nur durch das bewusste und organisierte Wirken von SozialrevolutionärInnen wird es eine siegreiche soziale Weltrevolution geben können. So waren zum Beispiel während des Aufstandes des ungarischen Proletariats gegen Staatskapitalismus und sowjetischen Imperialismus 1956 viele ProletarierInnen von der demokratischen Ideologie die BerufspolitikerInnen in freien Wahlen zu ermächtigen ganz vernebelt, und das, wo sie doch durch die im Kampf entstandenen Räte die Möglichkeit hatten, alle BerufspolitikerInnen zum Teufel zu schicken.
Die revolutionäre Situation währt nicht ewig. Entweder gelingt es der Bourgeoisie mit neuem politischen Personal das Proletariat mit Zuckerbrot und Peitsche wieder ruhig zu stellen, oder das Proletariat hebt sich selbst revolutionär auf. Bei der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats hebt dieses sich als kollektiven Warenproduzent und damit die Warenproduktion auf. Das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat hebt sich als kollektiver Staatsbürger auf, indem es den Staat zerschlägt. Das Weltproletariat setzt die wirkliche soziale Globalisierung durch, indem es alle Nationalstaaten zerschlägt. Die Zerschlagung des Staates ist natürlich etwas anderes als eine regierende Charaktermaske zu verjagen. Dass das Proletariat regierende Charaktermasken verjagen kann, hat der „arabische Frühling“ ab 2011 bewiesen, wo die bisherigen starken Männer in Ägypten und Tunesien nicht zuletzt durch den Kampf des Proletariats zum Rücktritt gezwungen wurden. Doch die Bourgeoisie verschanzte sich hinter dem Militär und islamistischen PolitikerInnen und führte den Klassenkampf von oben weiter. Noch ist das ägyptische Proletariat zu stark ideologisch von der Politik beherrscht, um allen PolitikerInnen durch seine revolutionäre Selbstaufhebung den Laufpass zu geben…

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