Der kurdische Nationalismus als ein Feind des Weltproletariats

Wir veröffentlichen hier den ersten Teil einer Reihe von Texten unter der gemeinsamen Überschrift „Der kurdische Nationalismus als ein Feind des Weltproletariats“. Im zweiten Teil wollen wir das imperialistische Gerangel und die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Großmächten, ihren Verbündeten in der arabischen Welt, der IS-Terromilliz und der kurdische NationalistInnen untersuchen. Der dritte Teil besteht aus einer vernichtenden Kritik am Internationalismus der kleinbürgerlichen politischen Linken in Westeuropa und in Nordamerika und unserer sozialrevolutionär-antinationalen Position zur Kurdischen Frage.

Kinder mit �calanbilder
Kinder halten bei einer Demonstration im Libanon Bilder von Öcalan, 2012 AFP/Getty

Der kurdische Nationalismus

Bevor wir uns den kurdischen Nationalismus in der Türkei, sowie im Nordirak und in Nordsyrien als eine besondere Form des Nationalismus ansehen, werden wir dessen allgemeine Form analysieren und kritisieren. Diese Herangehensweise empfiehlt sich auch deshalb, weil der kurdische Linksnationalismus entgegen den Behauptungen seines linksbürgerlichen Lautsprechers in Deutschland ein ganz normaler Nationalismus ist.
Die Nation ist nicht älter als der Kapitalismus. Ihre ersten Ansätze entstanden in der Übergangszeit zwischen Feudalismus und Kapitalismus mit dem Absolutismus, der Ideologie und Praxis eines starken Zentralstaates gegen die feudalen Lokalmächte. Der entstehende Zentralstaat stärkte auch das Handelskapital, was zur weiteren Entwicklung einheitliche Maße, Gewichte, Zölle und Geldeinheiten brauchte. Auch unterstützten einige MonarchInnen mehr oder weniger die Entwicklung des Kapitalismus. Doch ab einem bestimmten Entwicklungsmoment behinderte der feudale Zentralstaat die weitere kapitalistische Entwicklung. Holland erkämpfte sich zum Beispiel im Konflikt mit Spanien (1581-1621) die nationale Unabhängigkeit. Der Kampf um nationale Selbstbestimmung der holländischen Bourgeoisie war zugleich der Kampf um die erste vollständig handelskapitalistische Nation in Europa. Die nationale Ideologie formte aus den holländischen Bourgeois, KleinbürgerInnen und LohnarbeiterInnen eine scheinbare Schicksalsgemeinschaft, die holländische Nation. Als Teil der spanischen Monarchie waren die HolländerInnen nicht mehr als eine Sprach- und Religionsgemeinschaft, der Unabhängigkeitskrieg formierte sie zur Nation, diesem wahren Schein und dieser scheinbaren Wahrheit einer Schicksalsgemeinschaft aus Oben und Unten, AusbeuterInnen und Ausgebeuteten, UnterdrückerInnen und Unterdrückten. Indem der holländische Unabhängigkeitskampf die erste kapitalistische Nation hervorbrachte, die auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhte, war er selbstverständlich objektiv sozialreaktionär. Wenn die bürgerliche Ideologie und auch viele MarxistInnen den ersten nationalen Unabhängigkeitskrieg in der Geschichte als „fortschrittlich“ anpreisen, dann müssen wir SozialrevolutionärInnen nach dem Klassencharakter dieses „Fortschrittes“ fragen. Dass Kapitalismus und Bourgeoisie ursprünglich mal revolutionär gewesen sein sollen, ist ein marxistischer Geschichtsmythos, den unser nachmarxistischer und nachanarchistischer Kommunismus unbarmherzig zerstören muss. Genauso sieht es mit Nation und nationaler Befreiung aus. Der nationale Befreiungskrieg, den die holländische Bourgeoisie mit dem Ergebnis einer ersten kapitalistischen Nation in Europa führte, war durch und durch sozialreaktionär. Der Kolonialismus und die Ausbeutung des Proletariats durch die holländische Bourgeoisie waren die Folgen dieser Herausbildung der Nation der Niederlande.
England folgte Holland bald als erste kapitalistische Industrienation. Im 17. Jahrhundert eroberte sich die Bourgeoisie in England durch die antimonarchistische Revolution gegen den Absolutismus, die bürgerliche Konterrevolution gegen die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Bewegung (Levellers und Diggers) und letztendliche Niederschlagung der monarchistischen Konterrevolution die politische Staatsmacht. Durch die sozialreaktionäre industrielle Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts wurde England zur ersten kapitalistischen Industrienation. Die industrielle Bourgeoisie mietete die Arbeitskraft von Menschen an, die sowohl frei von Produktionsmitteln waren als auch über eine freie Persönlichkeit verfügten – und beutete diese Menschen gnadenlos aus. Denn der Reichtum der kapitalistischen Nation beruht auf der Ausbeutung des Proletariats. Die englische Nation wurde durch den Zentralstaat verkörpert. Die sich in England tummelnden Kapitale wurden zum Nationalkapital. Die Vermehrung des Nationalkapitals wurde zur obersten Pflicht des englischen Staates.
Aufgrund ihrer überlegenen Arbeitsproduktivität und Technologie wurde die erste Industrienation der Welt auch die alles dominierende Weltmacht – bis sie von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg abgelöst wurde. England und später die anderen kapitalistischen Industrienationen stellte alle rückschrittlichen Staaten bzw. Sprach-, Kultur- und Religionsgemeinschaften überall auf der Welt vor die Alternative: Entweder selbst zu einer kapitalistischen Industrienation zu werden oder im internationalen Konkurrenzkampf gnadenlos unterzugehen. So wurden viele Gegenden im Trikont (Asien, Afrika und Lateinamerika) direkt oder indirekt von den europäischen kapitalistischen Industrienationen und den USA kolonialisiert. Sowohl durch die Kolonialisierung, die mit einem gewissen Kapitalexport der Kolonialländer verbunden war, als auch die Entkolonialisierung, die neue Nationalstaaten/Nationalkapitale hervorbrachte, entwickelte sich der Kapitalismus auch im Trikont. Der Kolonialismus schuf die ersten Keime der kapitalistischen Entwicklung, die nationale Unabhängigkeit ließ die Blüten des Kapitalismus sprießen – mit Reichtum auf der einen Seite und Elend auf der anderen.
Angefangen mit der UdSSR und anderen folgenden Staaten in Osteuropa und im Trikont machten einige Nationen eine besondere Etappe der kapitalistischen Entwicklung durch. Zuerst in Sowjetrussland und dann überall dort im Trikont, wo sich nur eine schwache Bourgeoisie entwickeln konnte, übernahmen marxistisch-leninistische Parteibürokratien im Kampf mit einheimischen GroßgrundbesitzerInnen und KapitalistInnen sowie mit ausländischen Imperialismen/Kolonialmächten die politische Herrschaft und verstaatlichten die Wirtschaft. Der Staat mietete die Arbeitskraft eigentumsloser Menschen an und beutete sie gnadenlos aus. Es entwickelte sich also ein Staatskapitalismus, dessen überzentralistischen und ultrabürokratischen Produktionsverhältnisse eine rasche Industrialisierung begünstigten, aber ab einem bestimmten Punkt bei der Intensivierung der industriellen Entwicklung ein Hemmnis darstellten. Nun hing die weitere Produktion von nationalem Reichtum und das internationale Gewicht des Staates von der Privatisierung des Kapitals ab. Ein Musterbeispiel dieser Entwicklung des Nationalkapitals bietet das chinesische. Zuerst bildete sich mit der politischen Machtübernahme der „kommunistischen“ Parteibürokratie im Jahre 1949 ein verstaatlichtes Nationalkapital, das sich ab 1979 in der Transformation zum Privatkapitalismus und in einem rasanten Aufstieg befindet – auf Kosten des Proletariats.
Die nationale Befreiung im Trikont war und ist also wie der nationale Unabhängigkeitskrieg der Niederlande sozialreaktionär, weil sie nur den ausbeuterischen und zerstörerischen Kapitalismus hervorbringen konnte und kann. Zwar brachte sie auch durch die nachholende Industrialisierung ein Proletariat hervor, welches ein potenzieller Totengräber des Kapitalismus ist, doch will sich das Proletariat weltweit von Ausbeutung und Unterdrückung befreien, dann kann es sich nur revolutionär selbst aufheben, indem es in einer permanenten Kette alle Nationalstaaten zerschlägt, die kapitalistische Warenproduktion aufhebt und sozialen Raum für eine globale klassen- und staatenlose Gesellschaft schafft. Es gibt keine guten und bösen Nationalstaaten, alle Nationen sind Durchsetzungsformen des Kapitalismus. Zwischen kapitalistischem Nationalismus und sozialrevolutionär-antinationalen Positionen gibt es kein Drittes. Dass es einige „fortschrittliche“ Nationalismen gäbe, können nur kleinbürgerliche linke Intellektuelle behaupten, die hilflos zwischen Bourgeoisie und Proletariat schwanken. Sie schüren dadurch Illusionen in bestimmte privat- oder staatskapitalistische („sozialistische“) Nationalismen, die aber praktisch nichts anderes sein können als Klassenfeinde des Weltproletariats.
Der kurdische Nationalismus kann also nur eine Durchsetzungsform des Weltkapitalismus sein und er ist auch nichts anderes. Schauen wir uns diese Realität zuerst an, um dann die ideologischen Zerrbilder der kleinbürgerlichen politischen Linken zu zerstören. Der kurdische Nationalismus versucht aus der kurdischen Sprach- und Kulturgemeinschaft, die in den Nationalstaaten Türkei, Syrien, Irak und Iran verstreut lebt, eine moderne kapitalistische Staatsnation oder mehre Staatsnationen zu formen. Nationen sind im Gegensatz zu Sprach- und Kulturgemeinschaften nichts Natürliches, sondern immer etwas Künstliches, etwas von der kapitalistischen Politik Geschaffenes. Die kapitalistische Politik schafft entweder aus vorkapitalistischen Sprach- und Kulturgemeinschaften Nationalstaaten oder assimiliert solche mehr oder weniger zwanghaft als sprachlich-kulturell-religiöse Minderheiten in bestehende Nationalstaaten. Die wirtschaftlichen und/oder geistigen Eliten dieser „nationalen“ Minderheiten kämpfen entweder für Gleichberechtigung bzw. sprachlich-kulturelle und territoriale Autonomie innerhalb der bestehenden Nationalstaaten oder für neue Staaten mit den ehemaligen unterdrückten Minderheiten als staatsbildenden Subjekten. In der Ideologie, dem Nationalismus, wird das auch den Unterschichten einer ehemaligen unterdrückten sprachlich-kulturell-religiösen Minderheit als Befreiung verkauft – in der Praxis bleiben sie in der Regel ökonomisch ausgebeutete und politisch verwaltete Objekte, nur dass jetzt ihre AusbeuterInnen und VerwalterInnen der gleichen Nation angehören.
Es liegt auf der Hand, dass der Versuch der kurdischen NationalistInnen, auch aus der kurdischen Sprach- und Kulturgemeinschaft ein modernes staatsbildendes Subjekt als ideologisierte Praxis zu formen, erstens sozialreaktionär war und ist und zweitens zu Konflikten mit den schon bestehenden Nationalstaaten führen musste. In der Türkei zum Beispiel wurden die KurdInnen jahrelang repressiv unterdrückt. Ihnen wurde verboten kurdisch zu sprechen und sie wurden vom staatstragenden türkischen Nationalismus als „Bergtürken“ ideologisch assimiliert. Der türkische Nationalstaat ging gegen die kurdische Minderheit ultrabrutal vor und hielt sie in bitterster Armut. Wir SozialrevolutionärInnen kämpfen gegen die zwangsweise Assimilation und die nationalistische Repression gegen Sprachen und kulturelle Traditionen von Minderheiten innerhalb von bestehenden Nationalstaaten. Allerdings kämpfen wir auch gegen alle „unterdrückten“ Nationalismen, die aus Sprach- und Kulturgemeinschaften innerhalb der alten Nationen neue Nationalstaaten und Nationalkapitale formen wollen. Denn dieser Nationalismus „unterdrückter“ Nationen dient nur den wirtschaftlichen und kulturellen Eliten dieser sich neu formierenden Nation. Gelingt die Gründung von neuen Nationalstaaten können diese nur das werden, was die alten schon sind: Durchsetzungsformen des Kapitalismus. Es waren auch die ideologischen Auswirkungen des europäischen Kapitalismus, die aus den Kurden eine „Nation“ machten. Wikipedia formulierte dies so: „Unter dem Einfluss europäischer Ideen entwickelten sie dann ein eigenes Nationalgefühl.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Kurden) Sowohl unterdrückende als auch „unterdrückte“ Nationalismen spalten das Weltproletariat, das sich nur sozial befreien kann, indem es global alle Nationen aufhebt. So mussten und müssen SozialrevolutionärInnen überall auf der Welt sowohl gegen den türkischen als auch gegen den kurdischen Nationalismus kämpfen.
Die PKK wurde als militanter Arm des kurdischen Nationalismus in der Türkei am 27. November 1978 im Dorf Fiss (Provinz Diyarbakir) gegründet. Ihre Gründungsmitglieder waren Abdullah Öcalan, Mazlum Dogan und 21 weitere StudentInnen, deren Ziel es war in Türkisch-Kurdistan dem „türkischen Kolonialismus“ ein Ende zu bereiten, aber natürlich nicht auf sozialrevolutionär-antinationale Weise sondern auf reaktionär-nationalistischer. Öcalan war von Anfang an der unumstrittene autoritäre Führer der PKK. „Öcalan beherrschte die PKK autoritär, ging brutal gegen Dissidenten vor und ließ viele vermeintliche Rivalen oder Verräter hinrichten.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Abdullah_%C3%96calan) Die PKK orientierte sich anfangs an der marxistisch-leninistischen Ideologie und an der Praxis staatskapitalistischer Regimes wie das sowjetische, chinesische, nordkoreanische und das kubanische. Um die globale Schlagkraft der staatskapitalistischen Nationalismen zu erhöhen, appellierte die PKK an die sowjetische und an die chinesische Regierung, die damals aus praktisch-imperialistischen und vorgeschobenen ideologischen Gründen über Kreuz lagen, sich wieder zu versöhnen. Die Orientierung der PKK auf den staatskapitalistischen Block erfolgte weniger aus ideologischen Gründen als aus den praktischen Erfordernissen heraus, dass sie für die Gründung eines kurdischen Nationalstaates mächtige imperialistische Verbündete brauchte.
Am 15. August 1984 griff die PKK die Polizeistationen in den Dörfern Eruh (Siirt) und Schemdinli (Hakkari) an, wobei zwei Polizisten getötet wurden. Dies war der Beginn eines Guerilla-Krieges, der mit dem proletarischen Klassenkampf nicht das Geringste zu tun hatte. Der türkische Staat mietete als Gegenreaktion tausende Kurden und bewaffnete sie als Dorfschützer gegen die PKK. Die letztere führte ihren nationalistischen bewaffneten Kampf mit dem Ziel zu einem Frieden zu gelangen, der in einem von ihr dominierten kurdischen Nationalstaat gipfeln würde. Der bewaffnete Kampf zwischen der PKK und dem türkischen Staat wurde von beiden Seiten auf Kosten der ländlichen Zivilbevölkerung geführt. Zwischen 1984 und 1999 starben mindestens 35.000 Menschen durch die blutigen Amokläufe des türkischen und kurdischen Nationalismus. Das Ziel, die Mittel – der bewaffnete Guerilla-Kampf sowohl gegen den türkischen Staat als auch gegen verfeindete kurdischen Parteien – sowie der globale Staatskapitalismus als Bezugspunkt und Bündnispartner der PKK machten diese zu einem Feind des Proletariats. Denn der angestrebte kurdische Nationalstaat hätte sich nur im internationalen Gerangel der Staaten halten können, wenn er eine ursprüngliche kapitalistische Industrialisierung durchgezogen hätte. Und bisher entwickelte sich noch jede nachholende ursprüngliche kapitalistische Industrialisierung – egal ob privat- oder staatskapitalistisch – auf Kosten des Proletariats. Der damals von der PKK angestrebte Nationalstaat wäre mit Sicherheit keine Ausnahme gewesen.
Doch der globale Staatskapitalismus transformierte sich zunehmend zum Privatkapitalismus, damit ging der ideologische und praktische Bezugspunkt der PKK vor die Hunde – es war also Zeit für eine praktische und ideologische Neuorientierung der kurdisch-nationalistischen Guerilla-Organisation. So kam es auch schon in den frühen 1990er Jahren zwischen der PKK und dem türkischen Staat zu Friedensdialogen. Besonders der türkische Präsident Turgut Özal war ein Anhänger der Aussöhnung mit der PKK. Als dieser unter mysteriösen Umständen am 17. April 1993 ums Leben kam, wurde die Friedenstaube wieder durch den Kriegsfalken als Maskottchen der türkischen Politik gegenüber den Kurden ersetzt. Im Juni 1993 rief auch Öcalan aus seinem syrischen Exil – in diesem befand er sich seit 1979 – wieder zum „totalen Krieg“ auf. Als der Krieg dann auch immer intensiver und härter wurde, wurde auch der Druck des türkischen Imperialismus auf Syrien immer größer Öcalan auszuweisen. Die Türkei drohte Syrien sogar mit Krieg. Daraufhin wies Syrien Öcalan am 9. September 1998 aus.
Nun begann die türkische Jagt nach Öcalan. Am 12. September 1998 wurde der oberste kurdische Nationalist in Italien aufgrund eines deutschen Haftbefehls verhaftet. Doch die regierenden Charaktermasken des deutschen Nationalismus hatten Angst vor dem Nationalismus der in der BRD lebenden KurdInnen. So verzichteten sie darauf, Öcalan in Deutschland einzusperren. Italien ließ also den autoritären Boss des türkisch-kurdischen Linksnationalismus am 16. Dezember 1998 wieder frei. Im Januar 1999 verließ Öcalan Rom. Der PKK-Boss ersuchte nun in verschiedenen Staaten – unter anderem in Italien und Griechenland – um politisches Asyl, was aber abgelehnt wurde. Am 15. Februar 1999 wurde Öcalan schließlich vom türkischen Geheimdienst in Kenia festgenommen, als er die griechische Botschaft verließ. Nach der Verhaftung des PKK-Bosses lief der kurdische Nationalismus in ganz Europa Amok. So demolierten zum Beispiel 400 bis 500 KurdInnen die griechische Botschaft in Frankfurt am Main. Der türkische Nationalismus wollte Öcalan zuerst rechtsstaatlich durch die Todesstrafe umbringen lassen, verzichtete aber dann auch wegen des imperialistischen Druckes der EU darauf und wandelte 2002 die Todesstrafe in lebenslange Haft um.
Öcalan leitete auch in türkischer Haft über seine Anwälte die PKK weiter autoritär. Während einfache kurdische NationalistInnen in türkischer Haft grausam gefoltert wurden, konnte Herr Öcalan Friedensgespräche mit Regierungsstellen führen und mehrere Bücher schreiben. In diesen Schinken organisierte der PKK-Boss auch die ideologische Umorientierung des kurdischen Linksnationalismus. Der Marxismus-Leninismus war durch die Transformation des globalen Staatskapitalismus in den Privatkapitalismus nicht mehr zeitgemäß. Wikipedia schreibt über die aktuelle Ideologie-Brühe, die Herr Öcalan in türkischer Haft zusammenpanschte: „In den letzten Jahren lässt er sich durch Murray Bookchins Konzept des confederalism zum sogenannten Demokratischen Konföderalismus inspirieren. Weitere Inspirationsquellen sind Immanuel Wallerstein, Fernand Braudel, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Abdullah_%C3%96calan) Das ist eine krude Mischung aus Linksliberalismus und libertär weichgespülten Marxismus und Anarchismus, die nichts anderes als eine ideologische Kapitulation gegenüber Privatkapitalismus und Demokratie als Staatsform bedeutet – aber gerade deshalb beim kleinbürgerlich-linken Publikum im Westen gut ankommt. Demokratischer Konföderalismus in der Türkei bedeutet nichts anderes, als dass die Kurden innerhalb des türkischen Nationalstaates eine Art Unternation bilden sollen. Doch das Einigeln in bestehende Nationalstaaten ist nicht weniger sozialreaktionär wie die Gründung von neuen. Sozialrevolutionär ist nur die Vorbereitung der weltweiten Zerschlagung aller Nationalstaaten.
Herr Öcalan strebt also für die Türkei etwas an, was die kurdischen NationalistInnen im Nordirak und in Nordsyrien sich im 21. Jahrhundert schon faktisch-praktisch erkämpft haben: die nationale Autonomie mit kurdischen Unterstaaten innerhalb anderer bestehender Nationalstaaten. Im Irak nutzte der kurdische Nationalismus 2003 den imperialistischen Konflikt zwischen den USA und dem Saddam-Hussein-Regime um sich eine nationale Autonomie im sich neuformierenden irakischen Staat zu erobern. Beim imperialistischen Sturz des Hussein-Regimes diente sich der irakisch-kurdische Nationalismus den USA als Verbündeter an, dafür bekam er seine eigene politisch-territoriale Spielwiese zugewiesen.
Im syrischen Nationalstaat bilden die KurdInnen die größte sprachlich-kulturelle Minderheit. Syrien entstand durch die imperialistische Zerstörung des Osmanischen Reiches durch die Siegermächte des Ersten Weltkrieges und war zuerst ein französisches Mandatsgebiet. Doch im Jahre 1946 wurde Syrien durch die politische Unabhängigkeit ein eigenständiges Nationalkapital mit starken staatsinterventionistischen und staatskapitalistischen Tendenzen. 1957 gründete Osman Sabri zusammen mit anderen kurdischen NationalistInnen die Demokratische Partei Kurdistan-Syrien (DPKS). Das Ziel dieser Partei war eine größere kulturell-nationale Autonomie der KurdInnen in einem demokratisierten Syrien. Der kurdische Nationalismus war also in Syrien von Anfang an ein Motor der kapitalistischen Modernisierung. Doch für die linken TraumtänzerInnen stellt ja nationale und demokratische Autonomie nicht eine Durchsetzungsform des Kapitalismus und damit etwas grundsätzlich Reaktionäres dar, sondern irgendwie etwas emanzipatorisch-fortschrittliches. Aber die syrischen NationalistInnen unterdrückten die kurdischen National-DemokratInnen von der DPKS.
Nach dem Scheitern einer staatlichen Union mit Ägypten 1961 erklärte sich Syrien zu einer arabischen Republik. Die KurdInnen wurden schnell als „Fremdkörper“ der arabisch-syrischen Nation ausgemacht. Als Ergebnis einer außergewöhnlichen Volkszählung im nordsyrischen Kurdengebiet (Dschazira) von 1962 wurden 120.000 KurdInnen (das waren rund 20 Prozent dieser Sprach- und Kulturgemeinschaft in Syrien) zu AusländerInnen erklärt. Diese Sortierung der KurdInnen durch die syrischen NationalistInnen in „InländerInnen“ und „AusländerInnen“ war sehr willkürlich, so gab es in den einzelnen Familien plötzlich „InländerInnen“ und „AusländerInnen“. Das war eine ultrarepressive Demonstration der Tatsache, dass eine Nation nichts Natürliches ist und der kapitalistische Zentralstaat darüber entscheidet, wer dazugehört und wer nicht. Die zu „AusländerInnen“ erklärten KurdInnen mussten ihre Pässe abgeben, damit die Behörden diese angeblich erneuern könnten. Doch die zu „AusländerInnen“ abgestempelten KurdInnen bekamen diese nicht zurück. Begleitet wurde die Ausbürgerungsaktion durch eine nationalistische Kampagne mit Parolen wie „Rettet das Arabertum in der Dschazira!“ und „Bekämpft die kurdische Bedrohung!“. Staatenlose KurdInnen waren in Syrien gefangen, da sie keine Papiere hatten und deshalb nicht legal ausreisen durften.
1965 entschloss sich der syrische Staat dazu in Dschazira einen arabischen Gürtel entlang der türkischen Grenze zu errichten. Dieser nationalistische Gürtel war 350 km lang und 10-15 km breit und er reichte von der irakischen Grenze im Osten bis nach Ra’s al-‚Ayn im Westen. Ab 1973 wurde diese nationalistische Veränderung der Bevölkerung in Dschazira praktisch umgesetzt. Dabei wurden arabische Beduinen in den kurdischen Gebieten angesiedelt. Nach dem ursprünglichen Plan wallten die arabisch-syrischen NationalistInnen etwa 140.000 Kurden in die südlichen nahen Wüsten bei Al-Raad deportieren, doch die kurdischen BäuerInnen weigerten sich zu gehen, obwohl sie enteignet worden waren. Kurdische BäuerInnen, die der syrische Staat zu „AusländerInnen“ gemacht hatte, durften keinen Besitz haben, keine alten Häuser reparieren und keine neuen Häuser bauen.
Die herrschenden Kreise – ein starkes BerufspolitikerInnentum und relativ schwache PrivatkapitalistInnen, große Teile der syrischen Wirtschaft waren verstaatlicht – definierten ihren arabisch-syrischen Nationalismus also in Abgrenzung zur kurdischen Sprach- und Kulturgemeinschaft. Jede Nation ist real-praktisch in Oben und Unten, in AusbeuterInnen und Ausgebeutete gespalten. Die nationalistische Ideologie soll ja gerade die Klassenspaltung verschleiern. Als Kitt der Nation – also als eine Verhinderung, dass sich der reproduktive Klassenkampf zur sozialen Revolution zuspitzt – dienen sehr gut innere und äußere „Feinde“. Der syrische Nationalismus und damit die herrschende Klasse stärkten sich also auf Kosten der kurdischen Sprach und Kulturgemeinschaft. Besser als auf diese Weise konnte der arabisch-syrische Nationalismus gar nicht den syrisch-kurdischen Nationalismus stärken und aufladen.
So gab es mehrere kurdisch-nationalistische Unruhen und Aufstände in Syrien. Wie schon gesagt, formt der moderne bürgerliche Nationalismus aus vorbürgerlichen Sprach-, Kultur- und Religionsgemeinschaften kapitalistische Nationalstaaten. Der syrische Staat formte aus der arabischen Sprach- und Kulturgemeinschaft die arabisch-syrische Nation und ging repressiv gegen die kurdische Sprach- und Kulturgemeinschaft vor. Der kurdische Nationalismus stützte sich nun auf seine angebliche „Tradition“, die in Wirklichkeit seine vornationale Vorgeschichte war, um gegen die Repression des syrischen Staates zu kämpfen. So versammelten sich im März 1986 im kurdischen Viertel von Damaskus KurdInnen in traditioneller Kleidung, um das Frühlingsfest Nouruz zu feiern. Der kurdische Nationalismus musste die vornationale Tradition bewahren, um mit dieser einen Anspruch entweder auf einen eigenen Nationalstaat oder auf Unterstaaten in den bestehenden Ländern zu begründen. Doch der syrische Staat musste die kurdische Kulturtradition bekämpfen, weil er sie zuvor als für den arabisch-syrischen Nationalismus nicht dazugehörig und damit potenziell feindlich definiert hatte. Aus diesem Grunde hatte er auch das Tragen kurdischer Trachten verboten. Diese nationalistische Repression gegen die KurdInnen war eine besondere Form der sozialen Unterdrückung. Die KurdInnen taten also im März 1986 etwas vom Staat Verbotenes, als sie sich im kurdischen Viertel von Damaskus in ihre traditionelle Trachten hüllten, weshalb die Bullen repressiv gegen sie vorgingen. Als bezahlte Hooligans des syrischen Staates schossen sie in die Menge und töteten dabei einen Menschen.
Bei Wikipedia heißt es über die Unruhen von 2003: „Nach einem Zwischenfall in einem Fußballstadion in Qamischli starben bei Unruhen, die am 12. März begannen, 30 Menschen und 160 wurden verletzt. Kurdische Quellen deuteten an, dass syrische Sicherheitskräfte nach Zusammenstößen während eines Fußballspieles zwischen örtlichen kurdischen Fans der Heimmannschaft und arabischen Fans der Mannschaft aus der Stadt Deir ez-Zor scharfe Munition gegen Zivilisten einsetzten. Die internationale Presse berichtete über neun Tote am 12. März. Laut Amnesty International wurden hunderte Menschen, überwiegend Kurden, nach den Unruhen verhaftet. Kurdische Häftlinge berichteten über Folter und Misshandlungen. Einige kurdische Studenten wurden von ihren Universitäten verwiesen, weil sie an friedlichen Protesten teilgenommen hatten.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Syrien)
Auch in Syrien nutzte der kurdische Nationalismus unter der Führung der Partei der demokratischen Union (PYD) – eine linksnationale Schwesterpartei der PKK – ab 2011 die Destabilisierung des bestehenden Nationalstaates durch BürgerInnenkrieg und imperialistische Einmischung anderer Staaten, um sich eine faktische nationale Autonomie im Norden des Landes zu erkämpfen. Diese nationale Autonomie wurde dann von der islamistischen Terrorbande IS bedroht. Zu dem syrischen BürgerInnenkrieg und die imperialistische Eimischung in diesem schreiben wir alles Notwendige im nächsten Kapitel. Hier wollen wir die eindeutig bürgerlich-staatlichen Strukturen des kurdischen Nationalismus in Nordsyrien beschreiben und die ideologischen Luftschlösser, welche die deutschen linken KleinbürgerInnen daraus geistig formen, hart kritisieren.
Manchmal sind ganz normale bürgerliche IdeologInnen an der Realität näher dran als die linken KleinbürgerInnen. Deshalb wollen wir hier Wikipedia über die staatlichen Strukturen des kurdischen Linksnationalismus in Nordsyrien (Rojava) zitieren: „Als Rojava (im Deutschen auch Rodschawa; kurdisch ‏رۆژاڤایا کوردستانێ‎, Rojavaya Kurdistanê; arabisch ‏كردستان السورية‎, DMG Kurdistān assūriyya) oder Westkurdistan wird von Kurden der Anteil Syriens am kurdischen Siedlungsgebiet bezeichnet.
Teile dieses nicht klar abzugrenzenden Gebiets stehen als de facto autonome Gebiete unter kurdischer Kontrolle, diese wurden einseitig von der kurdischen Partiya Yekitîya Demokrat (PYD), der christlichen Suryoye Einheitspartei (einer Assyrisch/Aramäischen Partei) und weiteren Kleinparteien während des syrischen Bürgerkrieges proklamiert. Die Kantone sind (von West nach Ost): Efrîn, Kobanê und Cizîrê (nördlicher Teil der syrischen Provinz al-Hasaka mit Qamischli als Hauptort). Am 12. November 2013 beschloss die PYD, gemeinsam mit anderen Gruppierungen im Norden Syriens eine Übergangsverwaltung aufzustellen, um den durch den Krieg entstandenen Missständen in Verwaltung und Versorgung der Bevölkerung zu begegnen. Am 21. Januar 2014 folgte die Etablierung der Verwaltung in Cizîrê, am 27. Januar in Kobanê und einige Tage später auch in Efrîn. Die Verwaltung soll die multiethnische und -religiöse Situation in Nordsyrien widerspiegeln und besteht jeweils aus einem kurdischen, arabischen und christlichen-assyrischen Minister pro Ressort. Insgesamt wird der Plan verfolgt, ein demokratisches System aufzubauen, so wird beispielsweise auch eine Frauenquote von 40 % in der Verwaltung angepeilt. Laut PYD ist der längerfristige Plan, alle drei Kantone unter einer Verwaltung zu vereinen. Die PYD stieß mit diesem Schritt jedoch sowohl innerhalb Syriens als auch international auf Kritik. Ein Kritikpunkt ist, dass die PYD für den angestrebten zusammenhängenden Landstrich „Rojava“ in Nord-Syrien auch überwiegend nicht-kurdisch besiedelte Gebiete beansprucht, was v.a. bei der arabisch-sunnitischen Mehrheit in diesen Gebieten auf Widerstand stößt.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Rojava)
Mit Hilfe der stinknormalen bürgerlichen IdeologInnen von Wikipedia können wir also Rojava als typische staatliche Durchsetzungsform der kapitalistischen Modernisierung charakterisieren. Filtern wir also die Informationen von Wikipedia durch die materialistisch-dialektische Geschichtsbetrachtung. Der kurdische Nationalismus ist ein moderner Nationalismus, der andere Sprach- Religions- und Kulturgemeinschaften nicht unterdrücken, sondern integrieren will. Alle politischen Parteien, egal ob linke oder rechte, sind bürgerlich. Sie reproduzieren die Klassenspaltung in Form von BerufspolitikerInnen an der Spitze und der von ihr verwalteten kleinbürgerlichen und proletarischen Mitglieder an der Basis der Parteien. Parteien sind Basiseinheiten der bürgerlichen Politik, die konkurrenzmäßig-kooperativ oder monopolartig die politische Regierungsmacht anstreben. An die Regierungsmacht kommen politische Parteien durch Staatsstreiche, BürgerInnenkriege oder parlamentarische Wahlen. Die von den Parteien beherrschten Staaten schützen das bürgerliche Eigentum an den Produktionsmitteln –egal ob Privat-, Genossenschafts- oder Staatseigentum. Politische Partei, Staat, Nation und Kapital reproduzieren sich gegenseitig. So war es bei der NSDAP und „K“PdSU, so ist es bei CDU, SPD und Linkspartei – und so wird es auch bei der kurdisch-linksnationalen Partei PYD sein.
Das zu verschleiern ist der Job der linken DemagogInnen. So nannte der Marxist-Leninist und großer Fan des kurdischen Linksnationalismus, Nick Brauns, die Rojava regierenden BerufspolitikerInnen „Räteregierung“. Das ist ein alter Trick des Marxismus-Leninismus, seit dem die Bolschewiki 1917 mit Hilfe der ArbeiterInnenräte die politische Macht in Russland eroberten – und dann ganz gezielt durch ihre staatskapitalistische Konterrevolution die ArbeiterInnenräte zerstörten. Alles schon unter Lenin und Trotzki, und nicht erst unter Stalin. Ihren neuen Nationalstaat nannten die partei-„kommunistischen“ PolitikerInnen dann demagogisch „Sowjetunion“ (Räteunion). Doch die neuen Sowjets waren nur Mäntel für die „kommunistische“ Parteiherrschaft und die staatskapitalistische Ausbeutung des Proletariats. Sie hatten mit ArbeiterInnenräten als Organe des selbstorganisierten proletarischen Klassenkampfes nicht das Geringste zu tun. Auch die Räte in Rojava sind ganz normale demokratische Staatsorgane, die selbstverständlich nur die politische Verwaltungsform einer kapitalistischen Warenproduktion sein können.
Die kleinbürgerlich-linke Zeitung junge Welt stellte dem Vorstandsmitglied des Verbandes der Studierenden aus Kurdistan (YXK), Thomas Marburger die Frage: „Ist der Kapitalismus in Kobani (Kanton und Stadt in Rojava, die von der IS bedroht war, siehe nächstes Kapitel –Anmerkung von Nelke) abgeschafft?“ Seine Antwort: „Nein, es gibt noch arm und reich, die Produktionsmittel sind noch nicht komplett vergesellschaftet. Staatliches Land wurde an die Kommunen zur Selbstverwaltung übergeben, um Kooperativen und Landwirtschaftsprojekte aufzubauen. Parallel dazu wurde eine Übergangsregierung gebildet – eine davon ist die Partei der demokratischen Union (PYD). Zu Wahlen ist es aufgrund der zugespitzten Kämpfe nicht gekommen.“ („Demokratische Autonomie mitten im Krieg ausgebaut, Gespräch mit Thomas Marburger, in: junge Welt vom 27. Oktober 2014, S. 8.)
Hier haben wir alle politische Kategorien, die eine normale Demokratie als eine kapitalistische Staatsform auszeichnen, auch für Rojava genannt: Parteien, Regierung, kommunale Selbstverwaltung und Wahlen. Doch was ist mit den landwirtschaftlichen Kooperativen? Die können im Rahmen eines kapitalistischen Staates nichts anderes sein als Genossenschaften, also kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion als Nischen innerhalb einer kapitalistischen Ökonomie. Manche Genossenschaften wurden schon zu normalen kapitalistischen Firmen, aber noch nirgendwo wurden Genossenschaften im Rahmen von Nationalstaaten zu Keimen einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Dies trifft übrigens auch für die Kollektivwirtschaften im Rahmen von Staat und Kapital zu, welche die anarchosyndikalistische CNT während des spanischen BürgerInnenkrieges betrieb, und mit denen auch noch heutige AnarchosyndikalistInnen „kritisch“ hausieren gehen… Eine wirkliche Vergesellschaftung der Produktionsmittel ist nur bei Zerschlagung des Staates und bei Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung möglich. In den ökonomisch schwach entwickelten Kurdengebieten wären Genossenschaften im Rahmen von demokratischer Autonomie ein Entwicklungsmoment der kapitalistischen Warenproduktion. Der kurdische Linksnationalismus ist also in Nordsyrien eine Durchsetzungsform des Kapitalismus und nicht antikapitalistisch.
Außerdem leistet er der bürgerlichen Frauenemanzipation Vorschub. Die kapitalistische Klassenstruktur ist auch in modernen Nationen wie Deutschland mit der patriarchalen Diskriminierung der Frauen verbunden. Es gibt weltweit verhältnismäßig wenig Kapitalistinnen, Managerinnen, Politikerinnen, aber die proletarischen Frauen werden besonders hart ausgebeutet. Arbeiterinnen bekommen immer noch viel weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Außerdem lastet der größte Teil der biosozialen Reproduktionsarbeit innerhalb der Familien auf den Schultern der Frauen. Der (klein)bürgerliche Feminismus kann nur eine Gleichberechtigung innerhalb der Klassenspaltung bieten, also eine Gleichberechtigung von Kapitalmanagern und Kapitalmanagerinnen sowie von Proletariern und Proletarierinnen. Wir SozialrevolutionärInnen gehen mit einem klaren Klassenstandpunkt an die Frauenemanzipation heran. Während wir den Kampf der Proletarierinnen um gleiche Löhne von Männern und Frauen der ArbeiterInnenklasse als Teil des reproduktiven Klassenkampfes kritisch unterstützen, geht uns das Eintreten der (klein)bürgerlichen Damen für die Frauenquote für die Chefposten in Politik und Wirtschaft glatt am Arsch vorbei. Doch auch der reproduktive Klassenkampf der Proletarierinnen gegen die Frauenunterdrückung kann nur zu einer bürgerlichen Frauenemanzipation führen – wenn er sich nicht zur sozialen Revolution radikalisiert. Deshalb strebt der Kommunismus die Zerschlagung von Kapital, Staat und Patriarchat durch die soziale Revolution an, während der (klein)bürgerliche Feminismus Kapital und Staat durch die bürgerliche Frauenemanzipation reformieren will. Kommunismus und (klein)bürgerlicher Feminismus sind unvereinbar miteinander, sie verhalten sich gegeneinander wie Feuer und Wasser. SozialrevolutionärInnen kämpfen nicht für ein frauenquotiertes Kapitalmanagement, sondern dafür, dass die ArbeiterInnen auch die Chefinnen entmachten, während der (klein)bürgerliche Feminismus die Chefinnen vermehren möchte. Es liegt auf der Hand, dass wir in Rojava (klein)bürgerlichen Feminismus vor uns haben. Innerhalb von Staatsstrukturen kann Frauenemanzipation nur bürgerlich sein.
In Rojava haben wir also eine ungleichzeitige Entwicklung vor uns. Während die Ökonomie noch sehr unterentwickelt ist, können wir einen ultramodernen politischen Überbau sehen: einen multiethnischen und frauenemanzipativen Staat. Doch alle Nationalstaaten, also auch die politisch korrekten, sind strukturelle Klassenfeinde des Weltproletariats. Alle BerufspolitikerInnen leben auf Kosten des Proletariats. Sie eignen sich über Steuern einen Teil des vom Proletariat produzierten Mehrwertes an. BerufspolitikerInnen verwalten überall auf der Welt die kapitalistische Ausbeutung des Proletariats und gehen gegen es repressiv vor, wenn es in den Klassenkampf tritt. Das Weltproletariat hat noch immer mit bitteren Niederlagen dafür gezahlt, wenn es bestimmte Nationalstaaten und Staatsformen gegen andere Nationen und Staatsformen verteidigte. Deshalb bekämpfen wir SozialrevolutionärInnen den kurdischen Nationalismus in Nordsyrien so wie jeden anderen auch, und verteidigen ihn nicht gegen andere politische Fraktionen des Weltkapitals. Im Gegensatz zu sozialrevolutionären Positionen stehen die marxistischen und anarchistischen KleinbürgerInnen, die den kurdischen Linksnationalismus verklären und verteidigen – und damit neue Niederlagen des Proletariats vorbereiten. Solidarität mit PKK und PYD ist Solidarität mit kurdischen Politbonzen gegen das kurdische Proletariat! Auch wenn keine revolutionäre Situation besteht, kann das für wirkliche SozialrevolutionärInnen kein Alibi dafür sein, die Konterrevolution aktiv vorzubereiten. Solidarität mit dem kurdischen Linksnationalismus ist aktive Vorbereitung der Konterrevolution!
Die PKK konnte und kann nur den Kapitalismus reproduzieren. Sie war und ist eine politische Fraktion des Weltkapitals. Die staatskapitalistische Option wurde ihr verbaut. Jetzt bleibt ihr nur noch durch „demokratische Autonomie“ in den Kurdengebieten der Türkei den türkisch-kurdischen Privatkapitalismus auf erneuerter Stufenleiter zu reproduzieren. Und die kleinbürgerliche Linke im Westen hat als Lautsprecher des kurdischen Linksnationalismus den tollen Job den kapitalistischen Inhalt knallrot zu verpacken. So sagte der kurdische Linksnationalist Mehmit Derik von der Münchner Initiative „Solidarität mit Rojava: „Die PKK nimmt (…) eine fortschrittliche, sozialistische Perspektive ein.“ („Den Kampf der Kurden legitimieren“, Gespräch mit Mehmet Derik, in: junge Welt vom 28. November 2014, S. 2.) Ja, dem Kapitalismus sozialistische Masken aufsetzen, das ist das, was die kleinbürgerlichen politischen Linken am besten können!
Auch die „Radikale Linke“ aus Nürnberg, behauptet auf ihrer Homepage über die kurdisch-linksnationale Durchsetzungsform des Kapitalismus in Nordsyrien: „Rojava steht für ein sozialistisches Projekt, das versucht alle Ethnien und Religionen zu vereinen und die Gleichstellung von Frauen und Männern im Alltag und in der politischen Praxis umzusetzen, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Trotz der katastrophalen Auswirkungen des syrischen Bürgerkrieges haben die Menschen in der Region Rojava seit 2011 begonnen, eine politische und soziale Revolution durchzuführen, die eine alternative Entwicklung in allen gesellschaftlichen Bereichen angestoßen hat. Inspiriert vom Modell des Demokratischen Konföderalismus wurde eine kommunale und regionale Selbstverwaltung durch Rätedemokratie, Frauenräte und eigene demokratisch organisierte Sicherheitskräfte geschaffen. Die Räte orientieren sich an einer multiethnischen, multireligiösen und antipatriarchalen Vision jenseits des bürgerlich-kapitalistischen Staates.“ (http://www.redside.tk/rl/?p=1772) Das ist schon eine Meisterleistung der linksbürgerlichen Demagogie! Wenn Rojava eine „Rätedemokratie“ ist, dann ist die BRD auch eine!
Der globale Anarchismus, der in seinen Hauptströmungen genauso kleinbürgerlich war und ist wie der Marxismus, lässt sich teilweise von den neuesten libertär-demokratischen Phrasen des kurdischen Linksnationalismus in der Türkei und in Nordsyrien genauso berauschen wie früher viele Partei-„KommunistInnen“ von den marxistisch-leninistischen Absonderungen der PKK. Warum ist die politische Linke so anfällig gegenüber kapitalistischen Staaten? Weil es sich um eine durch und durch kleinbürgerliche Szene handelt, die hauptsächlich aus StudentInnen, Intellektuellen und ein paar verirrten ProletarierInnen – die innerhalb der linken Szene jegliches Klassenbewusstsein verloren haben – besteht. Aus hauptberuflichen ProfessorInnen, die natürlich auch bei ihrem marxistischen Hobbie, was sie nebenberuflich pflegen nicht den lukrativen Job verlieren wollen – also bloß nicht zu radikal sein! Aus StudentInnen, die noch mal alternativ das Leben genießen wollen, bevor sie sich völlig dem BildungsspießbürgerInnen-Milieu anpassen, aus ParlamentarierInnen der sozialdemokratischen Linkspartei, und JournalistInnen linker Zeitungen, die natürlich ihre Ideologieware auch nicht zu radikal gestalten dürfen, weil dafür gegenwärtig kein Markt da ist. Und selbstverständlich besteht die linke Szene auch aus AntifaschistInnen, AntirassistInnen und Frauenrechtlerinnen, deren Engagement von der BRD und der EU mitfinanziert wird sowie aus hauptamtlichen IdeologInnen der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung und des Bildungsapparates des DGB. Ach ja, antiautoritäre Libertäre, die sich in ihren selbstverwalteten Cafés im Rahmen des bundesdeutschen Staates und der kapitalistischen Warenproduktion pudelwohl fühlen und deshalb viel Verständnis für die demokratische Autonomie des kurdischen Linksnationalismus aufbringen, gibt es auch noch. Die linke Szene besteht also zum großen Teil aus Intellektuellen und PolitikerInnen, die tief in die Warenproduktion, die bundesdeutsche Zivilgesellschaft und das parlamentarisch-demokratische Staatssystem integriert sind. Das macht sie unfähig und unwillig dazu den Kapitalismus wirklich zu bekämpfen – aber verdammt anpassungsfähig-opportunistisch gegenüber den verschiedenen nationalen und politischen Fraktionen des Weltkapitals.

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