Vortrag von Diskussionsveranstaltung

Wir veröffentlichen hier den Vortrag, der bei der Veranstaltung „Wir haben keine Wahl – Wir müssen kämpfen! gehalten wurde.

Justitzpalast
Brennender Justizpalast. 15. Juli 1927 Wien

Wir haben keine Wahl – Wir müssen kämpfen

Bevor wir uns über die Bedeutung von Wahlen im demokratischen Kapitalismus Gedanken machen, müssen wir uns erst die Ausbeutung des Proletariats durch Kapital und Politik ansehen.

Kapitalvermehrung und Politik

Die meisten Produkte, welche im Kapitalismus hergestellt werden, sind für den Austausch mit Geld produziert worden, sie sind also Waren. Der Preis einer Ware ist der Geldausdruck seines Wertes. Der Wert einer Ware ist seine durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit. Außer vom Wert wird der Preis einer Ware auch durch die Marktgesetze, also das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage, bestimmt.

Was ist Kapital? Kapital ist Geld, das von seinen EigentümerInnen in die verschiedensten Operationen und Prozesse investiert wird, was das Geld vermehrt. Kapital ist also sich vermehrendes Geld. Mit der Entwicklung des Industriekapitalismus ab Ende des 18. Jahrhunderts wurde zunehmend die ganze Produktion von Gebrauchsgütern nur zum Mittel, um das Kapital, also vermehrtes Geld, noch mehr zu vermehren. Wie vermehren die IndustriekapitalistInnen ihr Kapital? Das gesamte Industrie-, Landwirtschafts-, Handels- und Bankkapital vermehrt sich in erster Linie durch die Ausbeutung des Proletariats. Das moderne Proletariat bilden im Kapitalismus alle jene Menschen, die keine Produktionsmittel besitzen und auch sonst über kein größeres Geldkapital verfügen und keine privilegierte Stellung im kapitalistischen Produktionsprozess oder im bürgerlichen Staatsapparat einnehmen. ProletarierInnen sind also Menschen, welche dazu gezwungen sind, ihre Arbeitskraft an das Kapital, das KleinbürgerInnentum oder den Staat zu vermieten. An dieser Stelle interessiert uns nur die Ausbeutung des Proletariats durch das Kapital. KapitalistInnen sind Menschen, die nicht selbst arbeiten, sondern andere Menschen arbeiten lassen, um ihr Kapital zu vermehren. Sie verwandeln dabei ihr Geldkapital in produktives Kapital, das heißt sie kaufen Produktionsmittel (sachliches produktives Kapital) und mieten die Arbeitskräfte (menschliches produktives Kapital) an. Der Mietpreis der Arbeitskraft ist der Lohn. Vom Lohn kaufen sich die ArbeiterInnen ihre lebensnotwendigen Waren und Dienstleistungen.

Indem der lohnabhängige Mensch seine Arbeitskraft für eine bestimmte Zeit an das Kapital vermietet wird diese Arbeitskraft im kapitalistischen Produktionsprozess zum produktiven Kapital, welches Mehrwert für die KapitalistInnen produziert. Die Arbeitsproduktivität des loharbeitenden Proletariats wird zur Produktivität des Kapitals. Die LohnarbeiterInnen sind von ihrer eigen Arbeitskraft entfremdet. Nicht sie bestimmen, was und wie produziert wird, sondern die KapitalistInnen und die hohen ManagerInnen. Sie sind auch entfremdet von den Produktionsmitteln, die nicht ihr Eigentum, sondern kapitalistisches Eigentum darstellen. Auch das Produkt, das sie herstellen, gehört nicht ihnen, sondern ist als Warenkapital Privateigentum der KapitalistInnen.

Während des kapitalistischen Produktionsprozesses überträgt das lohnarbeitende Proletariat den Wert der Produktionsmittel auf das neue Produkt und produziert gleichzeitig neuen Wert. Während der selbstreproduktiven Arbeitszeit stellen die ArbeiterInnen einen Wert her, der ihrer Lohnhöhe entspricht, während sie in der Mehrarbeitszeit den Mehrwert für das Kapital produzieren. Das Verhältnis zwischen ihren Löhnen und den Mehrwert, den sich die KapitalistInnen aneignen, ist die Mehrwertrate. Sie ist zugleich die Ausbeutungsrate des lohnarbeitenden Proletariats.

Wenden wir uns jetzt der Politik zu. Politik ist die staatsförmige Organisation von Klassengesellschaften. Bürgerliche Politik ist die staatsförmige und zivilgesellschaftliche Rahmengestaltung der Kapitalvermehrung. Wenn sich das Kapital als bestimmendes Produktionsverhältnis durchgesetzt hat durchdringt es mehr und mehr auch die Politik, die dadurch zur kapitalistischen Politik wird.

Kapitalismus und bürgerliche Politik reproduzieren sich gegenseitig. Bürgerliche Politik brachte bisher folgende Staatsformen hervor: konstitutionelle Monarchie, demokratische Republik, Militärdiktatur, Faschismus und die so genannte „sozialistische“ Einparteiendiktatur, die in Wirklichkeit ein staatskapitalistisches Regime ist. Alle diese unterschiedlichen Staatsformen dienten und dienen der Vermehrung des Kapitals. BerufspolitikerInnen leben im Kapitalismus vom proletarisch produzierten Mehrwert und sind Teil der herrschenden kapitalistischen Klasse. Sie eignen sich den Mehrwert entweder direkt durch staatskapitalistische Ausbeutung oder indirekt durch Teilhabe an der privatkapitalistischen Ausbeutung des Proletariats an. Global betrachtet war das Staatskapital nur ein kleiner Teil des Weltkapitalismus. Dieses bildete sich sowohl innerhalb des Privatkapitalismus als auch als besondere staatskapitalistische Nationen wie zum Beispiel DDR oder Sowjetunion. Die Lohnabhängigen dieser Länder vermieteten ihre Arbeitskraft an den Staat, der sie ausbeutete.

Der Staat gewährleistet im Privatkapitalismus grundsätzlich das Recht auf Privateigentum an industriellen Produktionsmitteln. Dadurch ist er der jeweilige Nationalstaat des nationalen Privatkapitals gegen das Proletariat. So wie das Privatkapital sich nur durch die Ausbeutung des Proletariats vermehren lässt, kann sich der Reichtum eines bürgerlichen Nationalstaates grundsätzlich nur durch Ausbeutung des Proletariats vergrößern. Privatkapital und Nationalstaat gedeihen also nur durch Klassenkampf von oben, indem sie die Ausbeutung des Proletariats organisieren. Die wichtigste Form wie der Staat sich im Privatkapitalismus einen Teil des Mehrwertes aneignet, ist die Besteuerung seiner StaatsbürgerInnen. Am unmittelbarsten wird die Steuer als Teil des Mehrwertes bei den Lohnsteuern sichtbar, die der Staat den ArbeiterInnen abzieht. Formal sind sie Teil der Bruttolöhne, in Wirklichkeit sind sie Mehrwert, welche das Proletariat in privatkapitalistischen Unternehmen, im staatlichen Sektor und in kleinbürgerlichen Betrieben für den Staat produzieren. Dagegen ist die staatliche Besteuerung des Profites der PrivatkapitalistInnen die indirekte staatliche Aneignung des vom Proletariat zuerst für das Privatkapital produzierten Mehrwertes. Neben der direkten Besteuerung von Lohn und Profit gibt es noch die Besteuerung des Konsums aller Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft.

Wofür verwendet der Staat den von ihm angeeigneten Mehrwert? Zunächst einmal dazu, um seine eigene Existenz zu finanzieren. Die regierenden BerufspolitikerInnen und alle Parlamentsabgeordnete (also auch die OppositionspolitikerInnen) leben vom proletarisch produzierten und staatlich angeeigneten Mehrwert. Die hohen BerufspolitikerInnen gehören zur herrschenden kapitalistischen Klasse, während die untergeordneten PolitikerInnen eher als kleinbürgerlich zu betrachten sind. Kleinbürgerlich können auch jene politisch-parlamentarische Oppositionsströmungen bezeichnet werden, die von den KapitalistInnen noch nicht voll anerkannt sind und deshalb auch noch nicht in Regierungsverantwortung waren. Weiterhin werden aus dem staatlich angeeigneten Mehrwert die staatlich dienenden Lohnabhängigen bezahlt.

Ein großer Teil des staatlich angeeigneten Mehrwertes dient also dazu seine Tätigkeit zu finanzieren. Ein anderer Teil des Mehrwertes fließt an die beiden Hauptklassen der bürgerlichen Gesellschaft, KapitalistInnen bzw. hohe ManagerInnen und lohnabhängiges Proletariat zurück. Der Mehrwert fließt an das Privatkapital in Form von direkten und indirekten staatlichen Unterstützungszahlungen (Subventionen) oder staatlichen Aufträgen (zum Beispiel Bau- und Rüstungsaufträge) zurück. Aber ein geringerer Teil fließt auch an das lohnabhängige Proletariat zurück. Bei der kostenlosen staatlichen Schulbildung ist dies zum Beispiel so.

Freie Wahlen und andere demokratische Narrenfreiheiten
In konstitutionellen Monarchien und demokratischen Republiken kommt den proletarischen StaatsbürgerInnen noch die politische Funktion zu in freien Wahlen als Stimmvieh die BerufspolitikerInnen zu ermächtigen, in ihren Namen aber gegen ihre Interessen und Bedürfnisse zu regieren. Auch proletarische BürgerInnen können in einer Demokratie frei wählen, ob Politiker X ihnen als Regierender sagt, dass ein Mindestlohn leider nicht möglich ist, oder Politiker U einen so niedrigen Mindestlohn durchsetzt, der dann auch nicht zum Leben reicht. Natürlich können mündige demokratische BürgerInnen in freien Wahlen auch entscheiden, ob Politikerin Y ihnen die Notwendigkeit des imperialistischen Einmarsches in ein fremdes Land besser erläutert als Politiker Z. Leider kann in einer Demokratie auch passieren, dass Politikerin J vor der Wahl verspricht einen Mindestlohn einzuführen, diese dass dann aber nach der Wahl doch eher für eine schlechte Idee hält und lieber einen neuen Krieg führt. Denn in freien Wahlen wird nicht über die Höhe des Lohnes oder über Krieg oder Frieden entschieden, sondern es werden PolitikerInnen ermächtigt, die dann über die erstgenannten Fragen im Interesse des Kapitals entscheiden. Das grundsätzliche Elend des Proletariats, was durch dessen Ausbeutung durch Kapital und Politik geschaffen wird, steht nicht zur Wahl. Im Gegenteil, das proletarische Elend ist Grundlage der demokratischen Freiheiten.
In ihrem materiellen Interesse sind sich alle PolitikerInnen sowieso einig: In ihr Monopol uns zu regieren. Der demokratische Staat funktioniert als ideeller Gesamtkapitalist. Das BerufspolitikerInnentum ist mit den Wirtschaftsbossen untrennbar verbunden, Politik ist die Verwaltung von Kapitalinteressen. Die Klassenherrschaft der KapitalistInnen und BerufspolitikerInnen ist weder wähl noch abwählbar. Durch parlamentarische Wahlen wird nur die symbolische Zustimmung zur demokratischen Klassenherrschaft organisiert. Jede Wahlstimme ist deshalb eine symbolische Zustimmung zur Klassenherrschaft –selbst die Proteststimmen für „linksradikale“ Gruppen. Deshalb zeigt sich wahre Radikalität darin, sich nicht vom Parlamentarismus instrumentalisieren zu lassen. Parlamentarische Wahlen ändern nichts, haben aber die Klassenherrschaft zur Voraussetzung, d.h.„Linksradikale“, die sich an ihnen beteiligen, sind das fünfte Rad am demokratischen Staatswagen.
Auch Nichtwählen ändert nichts. Nichtwählen ist noch kein Widerstand. Es ist nicht mehr aber auch nicht weniger als ein Akt geistiger Befreiung gegenüber der totalitären Demokratie. Deshalb bleiben wir bei Wahlen entweder zu Hause und genießen das Wochenende bevor wir am Montag wieder Lohnarbeit leisten müssen, oder gehen hin und verzieren Wahlkabine und –Zettel mit antiparlamentarischen Losungen. So demonstrieren wir unsere geistige Freiheit ohne uns daran zu berauschen. Unsere materielle Befreiung aus der Klassengesellschaft wird hart und langwierig sein. Aber bereits heute schaffen wir durch die radikale Kritik der Demokratie subjektive Voraussetzungen für ihre spätere revolutionäre Aufhebung.

Die DemokratInnen rümpfen über faschistische und „kommunistische“ Parteidiktaturen empört die Nase. Wo bleibt denn da die freie Wahl zwischen den verschiedenen Wahlvereinen, auch Parteien genannt? Ja, ihre demokratisch-pluralistische Parteienherrschaft ist viel flexibler als der Faschismus oder die so genannte „kommunistische“ Parteidiktatur. Doch in allen drei politischen Herrschaftsformen verwalten politische Parteien das proletarische Elend in ihrem eigenen Interesse und im Interesse des Kapitals. Regierungsverantwortung im Interesse des Kapitals zu übernehmen, um als politische Kraft von der Ausbeutung des Proletariats zu profitieren, das einte und eint alle politischen Parteien von der NSDAP über CDU, FDP bis zur SPD, SED und Linkspartei. Alle diese genannten Parteien waren und sind Ausdrücke der Klassenherrschaft. In politischen Parteien regieren die groß- und kleinbürgerlich-bürokratischen Apparate über die kleinbürgerliche und proletarische Basis. In einer ordentlichen Demokratie können die mündigen proletarischen StaatsbürgerInnen frei wählen, ob Partei X die kapitalistische und politische Ausbeutung der Lohnarbeit organisiert oder Partei Y. In der DDR gab es keine freien Wahlen und das Proletariat wurde ausgebeutet. In der BRD gab und gibt es freie Wahlen und das Proletariat wurde und wird ausgebeutet.

Pressefreiheit ist im demokratischen Kapitalismus eine Unterabteilung der Handelsfreiheit. Deshalb kommt in der demokratischen Pressefreiheit auch so gut die doppelte Freiheit der Lohnabhängigen zum Ausdruck. Die LohnarbeiterInnen sind frei von Medienproduktionsmittel. Diese Produktionsmittel bilden das Eigentum von Kapital und Staat. Das Eigentumsrecht gibt privaten und staatlichen Medienunternehmen das Recht dem Proletariat kapitalistische und staatliche Interessen als öffentliche Meinung zu verkaufen. Das Proletariat kauft die Medienmeinung wie alle anderen Konsumgüter als Waren. Es zahlt die Preise für Zeitungen und die Rundfunkgebühren für staatliche Medien. Es kauft also kapitalistische Meinungen als öffentliche Meinung. Aber als freie Persönlichkeiten haben die proletarisierten Menschen natürlich die Wahl, welchem Einzelkapital sie ihre Meinung abkaufen. Wie in den Supermärkten zum Beispiel die Wahl zwischen Milka und Nestle besteht, hat das Proletariat in seiner Pressefreiheit die Wahl, ob es die großbürgerliche Meinung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung oder die des Spiegels kauft. Dass es keine Alternative zur Demokratie und Marktwirtschaft gibt, kann das Proletariat in fast allen veröffentlichten Medien lesen, hören und sehen. Der berühmte kritische Journalismus darf sich dann auf Nebenschauplätzen austoben.

Auch die von den herrschenden DemokratInnen hochgelobte Versammlungsfreiheit reproduziert das private und institutionelle Eigentum und die Eigentumslosigkeit des Proletariats. Alle Häuser, Straßen und Plätze, also die Orte, an denen das Proletariat die demokratische Versammlungsfreiheit ausleben darf, gehören entweder Privatpersonen oder irgendwelchen Institutionen. Öffentliche Veranstaltungen müssen also erst mal angemeldet und genehmigt werden, bevor sie legal sind. Sind sie es nicht, also illegal, kommt mitunter die demokratische Polizei. Nun ja, auch bei ordnungsgemäß angemeldeten und genehmigten Demonstrationen, kann die kleinbürgerliche und proletarische Basis auf Protestdemonstrationen von den demokratischen Bullen ordentlich eins auf die Mütze bekommen. Wenn es dabei außerordentlich hart zugeht, beantragt vielleicht eine linke Oppositionspartei im Parlament einen Untersuchungsausschuss, der dann nach ein paar Monaten feststellt, dass der Staat sein Gewaltmonopol „unangemessen“ ausgeübt hat. Vielleicht muss auch das eine oder andere Bauernopfer seinen Posten räumen. Dieses in stabilen Demokratien bis zum Erbrechen durchgespielte Stück ändert weder etwas am Klassencharakter der demokratischen Versammlungsfreiheit noch der in ihrem Rahmen erfolgenden Repression. Das ist das besondere Geschäft demokratischer Oppositionsparteien, die grundsätzliche staatliche Repression gegen KleinbürgerInnentum und Proletariat als besondere Politik der Regierungsparteien darzustellen. Wenn die StaatsbürgerInnen bei den nächsten freien Wahlen durch ihr Kreuzchen die bisherigen Oppositionsparteien zu Regierungsparteien ermächtigen, würde danach angeblich alles ganz anders werden… Es ist also die besondere Funktion demokratischer Oppositionsparteien, die allgemeine Ausbeutung und Repression durch die Politik als eine schlechte Mode von besonderen – gerade regierenden – PolitikerInnen darzustellen.

Auch sind besonders linksdemokratische Oppositionsparteien für die Ausformulierung des demokratischen Untertanenbewusstseins verantwortlich. Sie verteidigen dann tapfer ihre linksdemokratischen Illusionen gegen die Wirklichkeit der Demokratie. Während die wirklichen Demokratien als politische Diktaturen des Kapitals sozialreaktionäre Täterinnen gegen das Proletariat sind, versuchen die LinksdemokratInnen die Demokratie als armes Opfer darzustellen. Wenn ein demokratisch gewählter Ministerpräsident die demokratische Polizei auf das klassenkämpferische Proletariat hetzt, ist in dem hirnlosen Geschnatter der LinksdemokratInnen nicht etwa das Proletariat Opfer demokratischer Politik. Nein, die demokratisch gewählten PolitikerInnen handeln angeblich „undemokratisch“. Nein, nicht die ProletarierInnen sind das eigentliche Opfer des demokratischen Bullenterrors, sondern die Demokratie. Während die wirkliche Demokratie als Diktatur des Kapitals auf das Proletariat spuckt und einschlägt, versuchen die LinksdemokratInnen dem Proletariat leider noch mit großem Erfolg einzureden, dass die Demokratie als oberstes Menschheitsideal angeblich auf dessen Seite stehen würde. Während die regierenden DemokratInnen Politik als Klassenkampf von oben gegen das Proletariat betreiben, lullt die linksdemokratische Opposition das Proletariat geistig ein und versucht leider noch sehr erfolgreich die Radikalisierung des Klassenkampfes von unten zu behindern. Demokratisches Untertanenbewusstsein innerhalb des Proletariats ist dessen geistiges Haupthindernis, um sich erfolgreich gegen die Demokratie als besondere politische Form der kapitalistischen Diktatur zu wehren.


Sozialrevolutionäre Antipolitik

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und „ArbeiterInnen“-Parteien) leistete die wichtigsten Beiträge zur Integration des Proletariats in die Demokratie und damit auch zur Modernisierung dieser politischen Herrschaftsform des Kapitals. In der ersten Zeit des Kapitalismus war dem Proletariat jede selbständige Organisation im Produktionsprozess untersagt. Streiks waren grundsätzlich illegal. Doch die KapitalistInnen machten einen Lernprozess durch und legalisierten schließlich Streiks unter ganz bestimmten Bedingungen – und auch die Gewerkschaften. Die Gewerkschaften wurden zur bürokratisch entfremdeten Form des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats, bei dem die ArbeiterInnenklasse für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen und gegen den Klassenkampf von oben kämpft. Die Gewerkschaften wurden nach und nach von den meisten Staaten und den meisten Kapitalgruppen als Co-Manager der Arbeitskraft beziehungsweise des menschlichen produktiven Kapitals anerkannt. Der demokratische Staat gewährleistet durch sein Recht Tarifautonomie und gewährt dadurch den Gewerkschaften mehr oder weniger ausgeprägt ein Streikmonopol. In den Tarifen werden die wichtigsten Arbeitsbedingungen und Löhne für eine bestimmte Zeit festgelegt. Während der Geltungszeit von Tarifen herrscht für die Gewerkschaften Friedenspflicht, das heißt sie dürfen nicht zu Streiks aufrufen. Demokratisches Streikrecht heißt grundsätzlich dass das Monopol zum Ausrufen von Streiks in den Händen von bürgerlich-bürokratischen Apparaten aus hauptamtlichen GewerkschaftsfunktionärInnen, die selbst nicht zum Proletariat gehören, liegt. Grundsätzlich widerspricht demokratisches Streikrecht also der proletarischen Selbstorganisation im Klassenkampf. Alle Gewerkschaften sind durch die Integration in das Kapitalverhältnis und in das staatlich gewährte Tarifrecht grundsätzlich mehr oder weniger stark in den Kapitalismus integriert. Es kann deshalb keine revolutionären Gewerkschaften geben.

Neben den Gewerkschaften gehörten und gehören noch die sozialdemokratischen und so genannten „kommunistischen“ Parteien zur institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sozialdemokratische und so genannte „kommunistische“ Parteien reproduzierten bereits durch ihre Organisationsform die bürgerliche Politik. Parteien sind grundsätzlich bürgerlich, bei denen eine strukturelle Klassenspaltung zwischen den bürgerlich-bürokratischen Führungsapparaten und der kleinbürgerlichen und proletarischen Basis besteht. Die hauptamtlichen PolitikerInnen sind nur der Phrase nach von der Parteibasis zu kontrollieren. In Wirklichkeit kontrollieren die bürgerlich-bürokratischen Parteiapparate mehr oder weniger stark die Parteibasen. Auch in „ArbeiterInnen“-Parteien war es von Anfang an nicht anders. Die hauptamtlichen sozialdemokratischen ParteifunktionärInnen eigneten sich über die Mitgliedsbeiträge der proletarischen Parteibasis auf politische Art und Weise einen Teil des Mehrwertes an, von dem sie lebten. Durch die Herausbildung sozialdemokratischer Parteien bildete sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein kleinbürgerliches BerufspolitikerInnentum heraus, welche aus Intellektuellen und ehemaligen LohnarbeiterInnen bestand. Durch die Teilnahme an den demokratischen Wahlen organisierten sie die Ermächtigung von bürgerlichen PolitikerInnen durch die ArbeiterInnen als Stimmvieh mit. Die Sozialdemokratie kämpfte innerhalb der Parlamente für Sozialreformen und eine Modernisierung des Wahlrechtes, welches am Anfang das Proletariat benachteiligte und Frauen ausschloss. Sozialdemokratische Parteien betrieben vor ihrer grundsätzlichen Anerkennung durch das Kapital und ihr angestammtes politisches Personal also eine kleinbürgerliche Oppositionspolitik, die nicht wenig zur Modernisierung des Kapitalismus beitrug. Diese kleinbürgerliche Oppositionspolitik passte sich immer stärker an die herrschende Regierungspolitik an, bis sich die Sozialdemokratie nur noch iwenig von ihrer großbürgerlichen Konkurrenz unterschied. Während des Ersten Weltkrieges standen deshalb die meisten sozialdemokratischen Parteien auf der Seite der jeweiligen Nationalstaaten und halfen ihnen das Weltproletariat im imperialistischen Gemetzel zu verheizen. Während der revolutionären Nachkriegskrise in Europa (1917-1923) ging das sozialdemokratische BerufspolitikerInnentum an der Seite des Kapitals blutig gegen das klassenkämpferische Proletariat vor. In der heutigen BRD ist die SPD eine vom Kapital voll anerkannte großbürgerliche politische Strömung. Neben der Sozialdemokratie in Westeuropa setzte sich in Osteuropa, in einigen Ländern Asien und Afrikas, sowie auf Kuba linke Politik und Ideologieproduktion in marxistisch-leninistischer Form als Avantgarde der ursprünglichen staatskapitalistischen Industrialisierung durch.
Auch der Parteimarxismus war also von Anfang an strukturell sozialreaktionär und konterrevolutionär gegen das Proletariat, weil er die bürgerliche Politik reproduzierte und einen bürgerlich-bürokratischen Apparat hervorbrachte. Karl Marx selbst hatte in seinen jungen Jahren interessante antipolitische Tendenzen, die aber in seinen späteren Jahren als Politiker und Ideologe der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Bund der Kommunisten, I. Internationale) verloren gingen. So schrieb Marx 1844: „Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ (Karl Marx, Kritische Randglossen, MEW Bd. 1, S. 401.) Doch Marx und Engels forderten bereits im Manifest der kommunistischen Partei die Verstaatlichung der Produktionsmittel. Der Marxismus wird also vom Widerspruch geprägt, dass er zum einen eine radikale Kritik der kapitalistischen Politik darstellt und zum anderen eine Variante der staatskapitalistischen Politik und Ideologieproduktion war.
Sozialrevolutionäre Antipolitik ist der bewusste Kampf gegen groß- und kleinbürgerliche Politik. Sie ist unvereinbar mit linker Politik, diesem erbärmlichen Kasperletheater, das für beschränkte KleinbürgerInnen ein nettes Nischenprogramm im Rahmen von kapitalistischer Warenproduktion und Politik zu bieten vermag, aber das proletarische Elend nur reproduzieren kann. Das Subjekt sozialrevolutionärer Antipolitik sind nicht die klassenneutralen „SteuerzahlerInnen“ und „WählerInnen“ beziehungsweise „NichtwählerInnen“ sondern ProletarierInnen und die wenigen Intellektuellen, die bewusst gegen Warenproduktion und Politik kämpfen.

Dieser bewusste Kampf gegen Warenproduktion und Politik ist sowohl in Deutschland als auch weltweit eine absolute Notwendigkeit, denn nur dieser führt aus dem proletarischen Elend heraus. Dem Elend des Proletariats, entweder den Reichtum von Kapital und Staat zu vermehren oder wenn die eigene Arbeitskraft nicht mehr vermietbar ist der staatlichen Erwerbslosenverwaltung anheim zu fallen. Das Proletariat kann sich nur aus diesem Elend befreien, indem es sich selbst als doppelt freie LohnarbeiterInnen (frei von Produktionsmitteln und freie Marktsubjekte), unfreie ArbeiterInnen in den Knästen und sozialstaatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, innerfamiliären HausarbeiterInnen, erwerbs- und obdachlose Menschen aufhebt. Das geht nur, indem das Proletariat die kollektive Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel erkämpft, die kapitalistische Warenproduktion aufhebt und alle BerufspolitikerInnen zum Teufel jagt.
Sozialrevolutionäre Antipolitik strebt also die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats an, die zugleich die Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung und der Politik als staatsförmige Organisation der Klassengesellschaft ist. Das Proletariat ist als kollektiver Vermieter der Arbeitskraft und kollektiver Konsument der Konsumgüterindustrie Teil der Ware-Geld-Beziehung, es kann sich nur aufheben, indem es die Ware-Geld-Beziehung zerschlägt. Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung heißt in erster Linie die Vergesellschaftung der Verfügungsgewalt über Produktionsmittel und Aufhebung des privaten und einzelkollektiven Eigentums an Produktionsmitteln. Denn die soziale Basis der Ware-Geld-Beziehung sind voneinander getrennte EigentümerInnen der Produktionsmittel, die auch EigentümerInnen der mit Hilfe dieser Produktionsmittel hergestellten Produkte sind, welche dann auf dem Markt verkauft und gekauft werden können. In der sozialen Revolution, die eine Möglichkeit ist und von SozialrevolutionärInnen bewusst vorbereitet werden muss, besteht die Notwendigkeit, dass das Weltproletariat die kollektive Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel erkämpft und in einer permanenten Kette die Nationalstaaten zerschlägt und den kapitalistischen Weltmarkt aufhebt. Nach unseren Vorstellungen verfügen in einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft in überschaubaren Kommunen sowohl die unmittelbaren ProduzentInnen an konkreten Produktionsmitteln, also jene Menschen die mit ihnen unmittelbar produktiv tätig sind, als auch jene die nicht zurzeit an ihnen beschäftigt sind, permanent über die Produktionsmittel. Das heißt, dass sie die allgemeinen Richtlinien der Produktion durch Vollversammlungen und mit Hilfe moderner Kommunikationsmittel bestimmen.

Mit der Warenproduktion muss eine soziale Weltrevolution auch die Politik als das besondere Geschäft von BerufspolitikerInnen aufheben. Indem die Menschen kollektiv über die Produktionsmittel verfügen bestimmen sie ihr eigenes soziales Leben unmittelbar selbst. Sie brauchen keine freien Wahlen, indem sie andere Menschen ermächtigen angeblich in ihrem Interesse zu regieren und Gesetze zu erlassen. Sie bestimmen selbst über ihre gesellschaftlichen Belange in Form von Versammlungen und mit Hilfe der modernen Kommunikationsmittel.

Das ist in groben Zügen die klassen- und staatenlose Gesellschaft, die von der sozialrevolutionären Antipolitik angestrebt wird. Mit Sicherheit wird sie kein widerspruchsloses Paradies sein, aber in ihr werden mit der gleichen Sicherheit keine Menschen hungern, weil sie kein Geld besitzen um sich etwas zu essen kaufen zu können, während zur gleichen Zeit nicht weit weg Lebensmittel vernichtet werden, weil sie im Verhältnis zur zahlungsfähigen Nachfrage überproduziert worden sind. Es werden keine Menschen mehr erfrieren in der Nähe von leer stehenden Wohnobjekten, die das Eigentum anderer Menschen sind, die selbst nicht in ihnen wohnen aber wegen mangelnder zahlungsfähiger Nachfrage auch keine anderen Menschen in ihnen wohnen lassen. Diesen kapitalistischen Wahnsinn muss die soziale Revolution hinwegfegen!

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